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Von Druckräumen wieder abgekommen

■ In Amsterdam ist die Polizei gegenüber Drogenabhängigen hilfsbereit und freundlich – und repressiv, wenn die Belastung für die Anwohner zu groß wird

Amsterdam (taz) – Wenn Jan Biemolt Dienst hat, taucht auch schon mal ein Junkie bei ihm auf – auf der Suche nach einem heißen Tee und einem Entgiftungsplatz, weil er die Schnauze voll hat von der Szene. Doch Jan Biemolt ist weder Streetworker noch Sozialarbeiter, sondern Kommissar auf dem Polizeirevier in der Warmoesstraat, einer der Hauptmeilen des Amsterdamer Rotlichtbezirks. Die Geschichte ist ebenso wahr wie romantisch und entspricht auch so schön dem Bild, das man hierzulande gerne von der toleranten niederländischen Drogenpolitik hat. Dennoch ist sie nur ein Teil eines viel komplexeren Ganzen: Denn gleichzeitig spricht die Polizei in Amsterdam eine sehr deutliche Sprache mit den Junkies, wenn die Überlast in der Innenstadt zu groß wird. So sind Polizeibeamte in einem immer größer werdenden „Notstandsgebiet“ der Altstadt mit Sonderbefugnissen ausgestattet. Junkies, die in dem weiträumigen Bereich um den berüchtigten Zeedijk Messer bei sich tragen, mit mehr als drei Leuten herumsitzen, mit Drogen handeln oder auf der Straße spritzen, können von der Polizei für acht Stunden aus dem Gebiet verwiesen werden. Wer in einem halben Jahr mehr als fünfmal aufgegriffen wird, dem droht der verlängerte „Zeedijk-ban“ für 14 Tage. Mit diesen Notverordnungen versucht die Polizei seit einigen Jahren, die Belastung für Anwohner – und Touristen – in Grenzen zu halten und die Szene über ein größeres Gebiet zu verteilen. Seitdem konzentrieren sich Abhängige stärker in den Randgebieten – insbesondere in der Satellitenstadt Bijlmer.

Bereits Ende der sechziger Jahre zum Drogenmekka erklärt, hat sich die Zahl der Abhängigen in Amsterdam inzwischen stabilisiert. Von den geschätzten 6.200 stammen 2.000 aus anderen europäischen Ländern – etwa die Hälfte von ihnen aus Deutschland, geflüchtet auf der Suche nach billigerem Stoff und mehr Toleranz. Gerade die Zugereisten werden oft auffällig, hängen auf der Straße, ohne festen Wohnsitz und bewegen sich häufig über Monate nicht weiter als 500 Meter vom Hauptbahnhof fort.

Mit einem pragmatischen Ansatz versucht die Stadt Amsterdam, dieser Lage Herr zu werden. Kleindealer werden in der Regel ebensowenig aufgegriffen wie Junkies, an 60 Stellen gibt es saubere Spritzen (aber aus unerfindlichen Gründen nur zwei Spritzenautomaten – nachts die einzige Alternative, an Spritzen zu kommen); zwei Busse und vier Kliniken geben Methadon aus. Auch die, die nicht von der Droge wegwollen, sollen so gesund wie möglich bleiben, heißt die Devise.

In diesem System wirkt auch die Polizei mit: „Abhängige sind nicht in erster Linie kriminell, sondern krank“, so Biemolt. Und wo Polizisten als Vermittler fungieren könnten, täten sie das. Ihre Aufgabe sähen sie nicht alleine im Strafrecht. Biemolt ist Realist: „Das Drogenproblem lösen wir von der Polizei ohnehin nicht.“ Aber es sei ihre Aufgabe, die Szene so zu verteilen, daß Bewohner und Touristen sich auf der Straße frei bewegen könnten. Das war früher anders: Der Zeedijk war ein Jahrzehnt lang kaum noch betretbar – bis zu 1.000 Junkies aßen, schliefen, dealten und fixten hier Tag und Nacht.

„Was man in der Innenstadt noch an Junkies sieht, ist der Rest“, bestätigt auch John-Peter Kools, Redakteur der User-Zeitschrift Mainline. Unter dem Motto „Keep Moving“ sei es der Polizei gelungen, der Konzentration der Szene Einhalt zu gebieten. Er ist von dieser Strategie allerdings ebensowenig überzeugt wie von der vermeintlich vorbildhaften Gesundheitspolitik in Amsterdam: Hilfsangebote könnten schließlich nicht ständig mit umziehen; insbesondere in den Randbezirken gebe es zwar Drogen, aber kaum Hilfe für Abhängige. Auch die beiden Spritzenautomaten befinden sich gerade mal ein paar hundert Meter voneinander entfernt in der Innenstadt. Einer der beiden Methadonbusse bewegt sich für eine Stunde am Tag nach Bijlmer. „Es verunsichert nur, wenn man die Junkies ständig hin- und herschickt“, so Kools. Und Plätze, wo sie sich aufhalten könnten, gäbe es schon wenig genug: Alle Experimente von Junkie-Zentrum über ein User- Hausboot, Druckräume oder Cafés, in denen Gebrauch und Verkauf toleriert wurden, liefen völlig außer Kontrolle und sind längst wieder geschlossen, die dafür zuständigen Stadträte zurückgetreten. Jetzt gebe es für jeden Junkie nur noch eine Überzahl von Sozialarbeitern, die jeder ein bißchen und keiner wirklich verantwortlich seien. „Von jedem Amt einen, und jeder schickt dich zum nächsten.“

Auch das Argument, durch ihren akzeptierenden Ansatz erreiche das Gesundheitssystem phänomenale 85 Prozent der Abhängigen, wischt Kools vom Tisch: „Vielleicht haben sie von 85 Prozent die Akten. Aber sie können nicht mal 'ne Liste machen, wo ihre Busse und Automaten wann zu finden sind. Das machen wir.“ Jeannette Goddar

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