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„Uncle Sam macht sich zum Affen“

Mit Haiti ließe sich der angekratzte Ruf Amerikas nach dem Somalia-Debakel wieder aufpolieren. Doch die einzig verbliebene „Supermacht“ demonstriert alles andere als besondere Stärke. Clintons glücklose Außenpolitik produziert Feinde.

Man muß nicht einmal hören, was er sagt. Im Moment kann man am Gesicht Bill Clintons ablesen, worüber er gerade redet. Sind Mimik und Gestik souverän, dann geht es um die Gesundheitsreform oder um neue Strukturen der Bundesverwaltung. Wirken die Gesichtszüge starr, die Körperhaltung steif, dann geht es um Somalia. Oder um Haiti.

Haiti, das weiß Bill Clinton, könnte seine vorerst letzte Chance sein, der US-Außenpolitik wieder etwas Glaubwürdigkeit zu verschaffen. Nur vermag in Washington noch niemand zu erklären, wie das zu bewerkstelligen ist.

Optimisten in der Clinton- Administration hoffen darauf, daß das vom UNO-Sicherheitsrat verhängte Wirtschaftsembargo Polizei und Militär in Haiti unter der Führung des Polizeichefs Joseph Michel François sowie des Befehlshabers der Armee, Raoul Cedras, wieder auf Verhandlungskurs bringen. US-Präsident Clinton hatte am Freitag – noch unter dem Eindruck der Ermordung des haitianischen Justizministers und Aristide-Unterstützers Guy Malary – sechs Kriegsschiffe Richtung Haiti beordert, um das Embargo durchzusetzen. Die USA, erklärte Washingtons UNO-Botschafterin Madeleine Albright am Samstag im New Yorker UN-Sicherheitsrat, würden mit ihrer diplomatischen und militärischen Macht dafür sorgen, daß durch Sanktionen die „flackernde Flamme der haitianischen Demokratie geschützt wird“.

Auf solche Worte und auf telefonische Solidaritätsbekundungen aus Washington müssen sich vorerst Haitis Exilpräsident Aristide und sein Premierminister Robert Malval verlassen. Letzterer muß spätestens nach dem Mord an Malary in Port-au-Prince ebenso um sein Leben fürchten wie alle anderen Unterstützer Aristides. Noch Ende letzter Woche hatte US-Vizepräsident Al Gore Malval in einem Telfongespräch versichert, die USA würden sich weiterhin mit aller Macht für die Wiederherstellung der Demokratie in Haiti einsetzen und nach wie vor davon ausgehen, daß Präsident Aristide – wie vereinbart – am 30. Okotober nach Haiti zurückkehren kann. Just einen Tag zuvor jedoch hatte US-Präsident Clinton das Navy- Schiff „Harlan County“ mit über 200 US-amerikanischen und kanadischen Militär-und Polizeispezialisten an Bord wieder abgezogen, nachdem ein Mob am Hafen von Port-au-Prince gegen die Präsenz der Offiziere demonstriert hatte, die gemäß der ursprünglich vereinbarten Machtübergabe von Cedras an Aristide Polizei und Militär entflechten und professionalisieren sollten. Der Abzug des Schiffs, auf den vor allem Verteidigungsminister Les Aspin und das Pentagon gedrängt hatten, verschlechterte das ohnehin schon gespannte Verhältnis zwischen den USA und der UNO.

Die Präsenz der Demonstranten am Hafen, erklärte der UNO- Sondergesandte für Haiti, Dante Caputo, sei eine Ausrede gewesen. „Da standen etwa 200 Leute am Hafen und brüllten herum. Als wir hier zuerst ankamen, waren wir mit 3.000 Demonstranten konfrontiert, die zum Teil bewaffnet waren. Wir haben trotzdem weitergemacht.“

Der Abzug der „Harlan County“ symbolisierte am deutlichsten das Dilemma Clintons. Nach dem außenpolitischen Debakel in Somalia war die innenpolitische Opposition gegen jedes weitere militärische Engagement der USA im Ausland enorm gewachsen. Die leichtbewaffneten Militär- und Polizeiinstrukteure schienen vielen US-Senatoren ein leichtes Ziel für bewaffnete Aristide-Gegner. Gleichzeitig wuchs der Unmut in den Medien darüber, daß sich, so eine Kommentatorin der Washington Post, „Uncle Sam im Ausland zum Affen machen läßt“. Die tatsächlichen Machthaber in Haiti, so die Argumentation, hätten am Beispiel Somalia gesehen, daß die einzig verbliebene Supermacht derzeit alles andere demonstriert als Macht und Stärke.

Dem läßt sich vorerst kaum widersprechen. In einem Brief an Caputo erklärte der Putschist Cedras, der am Freitag eigentlich hätte zurücktreten sollen, das von der UNO vermittelte Abkommen von Governors Island, in dem unter anderem die Rückkehr Aristides vereinbart wurde, sei „in einer Sackgasse“ gelandet. Vermittlungs- und Gesprächsversuche durch den Haiti-Spezialisten der US-Regierung, Lawrence Pezzullo, waren zuvor gescheitert. Cedras, so ein Sprecher der US-Regierung, habe sich „keinen Zentimeter bewegt“. Militärs und Polizei in Haiti richten sich offenbar darauf ein, das Embargo mit jenen Vorräten auszusitzen, die sie seit letztem August angesammelt haben, als die Handelssanktionen aufgehoben wurden.

Unterdessen wächst im US- Kongreß erneut der Unmut über den Einsatz von US-Militär – und sei es nur zur Durchsetzung des Embargos. Robert Dole, einflußreicher Fraktionsführer der Republikaner im Senat, äußerte Unverständnis für den Einsatz von Kriegsschiffen. „Wenn sie uns in Haiti nicht wollen, dann halten wir uns eben raus.“ Weitreichende Konsequenzen für Clintons Handlungsspielraum könnte ein Antrag von Dole mit sich bringen, mit dem der Republikaner den Präsidenten zwingen will, künftig jeden weiteren Einsatz von Militärs vorher im Senat absegnen zu lassen.

In Haiti mag man von den innenpolitischen Querelen in Washington wenig wissen. Doch das Bild, das die Insel bietet, dürfte den Aristide-Anhängern wenig Vertrauen in die USA und die UNO geben. Rund 100 Menschenrechtsbeobachter wurden am Wochenende ausgeflogen, US-Bürger von der Botschaft aufgefordert, sich für den Fall einer Evakuierung registrieren zu lassen.

In Sicherheit können sich nur jene Haitianer wiegen, die im Ausland Asyl erhalten haben. Und 20.000 Landsleute, die nach Beschluß der US-Eiwanderungsbehörde (INS) eigentlich abgeschoben werden sollten. Angesichts der Situation in Haiti hat der INS vorerst alle weiteren Abschiebeanordnungen aufgeschoben. Andrea Böhm, Washington

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