■ Cash & Crash
: Die Hausse nährt die Hausse

Berlin (taz) – Als Börsianer sollte man Optimist sein. Wer sich durch den Machtkampf in Moskau Anfang des Monats bange machen ließ und die Hände von Aktien ließ, schaut jetzt in die Röhre. Mit dem Ende der Krise in Rußland begann ein wahrer Kaufrausch auf dem Frankfurter Parkett. Je schneller die Kurse zulegen, desto mehr wollen am Boom teilnehmen, egal zu welchem Preis: „Die Hausse nährt die Hausse“ ist eine alte Börsenweisheit.

Der Deutsche Aktienindex ist vor knapp einer Woche erstmals über die Grenze von 2.000 Punkten gestiegen, das ist ein Zuwachs von fast einem Drittel seit Jahresbeginn. Die Frankfurter Aktienhändler hielten kurz inne und klatschten dem von ihnen selbst hochgetriebenen Index Beifall. Damit nicht genug, gestern erreichte der Dax 2.027 Punkte nach sogar schon 2.033 am Vortag. Der Dax, 1987 auf 1.000 Punkte festgelegt, spiegelt die Kurse der 30 umsatzstärksten Aktien wider. Die Gesellschaften, von Allianz über Deutsche Bank bis Volkswagen, werden ihrer Bedeutung für den Aktienmarkt entsprechend gewichtet.

Was aber treibt den Dax so hoch, wo doch jeder weiß, daß die deutsche Wirtschaft darniederliegt? Die Antwort ist, daß die Aktienkurse ja auch gar nicht den aktuellen Zustand einer Volkswirtschaft ausdrücken, sondern die Erwartungen über deren künftige Entwicklung. Und da sind Anleger wiederum optimistisch – dank konsequenter Umstrukturierung bei den Unternehmen, heißt es in der Fachpresse. Gemeint ist: Überall werden Leute entlassen, und das senkt die Kosten.

Zum Boom tragen auch die niedrigen Zinsen bei. Börsengurus rechnen fest damit, daß die Bundesbanker auf ihrer morgigen Sitzung noch einmal die Leitzinsen senken. Den Unternehmen gibt das Auftrieb, denn ihre Kosten sinken durch niedrigere Kreditzinsen. Zugleich werden festverzinsliche Papiere unrentabel, Anleger schichten ihr Geld in Aktienfonds um. Weltweit verwalten Investmentfonds geschätzte 12 Billionen Mark, für die sie lukrative Anlagemöglichkeiten finden müssen. Jetzt haben auch noch die US-Amerikaner deutsche Aktien entdeckt. Wall Street boomt schon seit langem und gilt als ausgereizt, während die deutschen Börsen für Nachzügler gehalten werden, wo noch etwas zu holen ist.

Womöglich werden die Hoffnungen in die positive Entwicklung der deutschen Unternehmen aber doch noch enttäuscht. Denn der Konjunkturmotor will einfach nicht anspringen. Auch für 1994 ist kein Aufschwung in Sicht. Da gibt es nur eine sichere Empfehlung für den Aktienkauf: Bankenaktien. In der Branche werden nicht nur schwarze Zahlen geschrieben, sondern geradezu vergoldete. Und je mehr Anleger Aktien kaufen, desto besser geht es den Geldhäusern. Bei den Provisionen für Wertpapiergeschäfte erzielten die Geldhäuser zweistellige Zuwachsraten. Nicola Liebert