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„Bis Montag festhalten oder zurückschicken“

Wie gerät man als gesuchter Regimegegner aus Afrika nach Deutschland? Senfo Tonkam, mehrfach inhaftierter Studentenführer aus Kamerun, lebt heute in Hamburg. Der Weg war nicht leicht. Ein Fluchtbericht  ■ Von Senfo Tonkam

Es begann am 19. Januar. An diesem Tag erließ der kamerunische Präsident Paul Biya das Dekret 93/032, mit dem eine Einschreibgebühr von 50.000 CFA- Francs (etwa 300 DM) für die Universitäten Kameruns eingeführt wurde. Das Studentenparlament Kameruns hielt diese Maßnahme für verfassungswidrig, denn faktisch wird damit drei Vierteln der kamerunischen Schüler und Studenten der Zugang zur Universität verwehrt. Wir starteten in Jaunde die Aktion „Universität für alle“ mit der Parole „Keine Gebühr!“. Die Aktion war so erfolgreich, daß die Staatsmacht Strafaktionen in den Studentenheimen vornehmen ließ.

Durchgeführt wurden sie von der Regierungsmiliz, die seit längerem unter dem Namen „Selbstverteidigung“ auf dem Universitätsgelände ihr Unwesen treibt – eine Gruppe aus regierungstreuen Studenten, zivil gekleideten Polizisten und Soldaten und gekauften Kriminellen aus den Vorstädten unter dem Kommando des Rektors Agbor Tabi. Ihr erster Angriff erfolgte in der Nacht vom 5. auf 6. April. Unter den Augen der Polizei, die seit drei Jahren auf dem Gelände stationiert ist, brachen sie in Studentenzimmer ein, mißhandelten und verletzten die Bewohner und zündeten die Räume an. Erst als der Sicherheitsdienst des Studentenparlaments alarmiert wurde und eingriff, reagierte die Polizei – und gewährte den Angreifern freies Geleit aus dem Gelände hinaus.

In dieser Terroratmosphäre wurde in der Nacht vom 25. auf 26. April der Student Kamga Ndjengue Collins in seinem Zimmer an lebendigem Leibe angezündet. Die Polizei war weniger als 50 Meter entfernt stationiert und somit Zeuge dieser Gewalttat, die überdies zu einer Zeit stattfand, zu der seit drei Jahren auf dem Gelände eine Ausgangssperre herrschte. Kamga Ndjengue starb drei Tage nach dem Angriff.

Sofort beschuldigten die Behörden uns dieses Mordes und rechtfertigten die Zerschlagung des Studentenparlamentes. So wurde ich schon am 27. April mit Bild im nationalen Fernsehen als Anstifter und Staatsfeind gezeigt; die Sicherheitskräfte und die politische Polizei erhielten den Befehl, mich ohne Vorwarnung zu erschießen. 35 Studenten wurden lebenslang aus der Universität ausgeschlossen; man verdächtigte sie, das Studentenparlament angeführt oder darin aktiv gewesen zu sein. Sondereinheiten verstärkten die Polizisten auf dem Universitätsgelände; zwischen dem 27. April und dem 30. Juni haben insgesamt 1.140 Folterer StudentInnen verhaftet, mißhandelt und erniedrigt. Sie haben die Zimmer der Führer des Studentenparlaments aufgebrochen und ihre Nachbarn und Familien bedroht.

In der Hauptstadt und auf den Ausfallstraßen wurden Taxis, Busse und Eisenbahnen kontrolliert, aufgefundene Studenten wurden zusammengeschlagen und in Haftzentren verschleppt, wo man sie unter unmenschlichen Bedingungen festhielt. Im ganzen Land setzte eine gigantische, gnadenlose Menschenjagd ein – mit allen Mitteln. Zum Beispiel berief der Leiter der Philosophieabteilung an der Universität Jaunde, Mono Ndzana, am 23. Juni die Studenten Ekobe Ewane, Tendzong Leopold und Kemmegni Tchapda Vigny wegen eines sogenannten akademischen Problems in sein Büro, um sie dort Agenten und Offizieren der politischen Polizei zu übergeben, die dort warteten und sie sofort in eine Polizeistation brachten.

„Subversiv, unverantwortlich und vandalenhaft“

Die Aktionen der Polizei erstreckten sich auch auf Duala, wohin ich zu meiner eigenen Sicherheit gereist war. Biyas politische Polizei war überzeugt, daß ich nur nach Duala gezogen war, um dort eine Untergrundzelle des Studentenparlamentes zu organisieren, was der zuständige Polizeikommissar als „subversiv, unverantwortlich und vandalenhaft“ bezeichnete.

Alarmierend war daher, daß am 23. Mai Sabo Ali verhaftet und zwei Tage lang verhört wurde – ein Bruder von Nyambi Gallant, Mitglied unseres Führungskomitees. Sabo Ali hatte mich schon in der unruhigen Zeit nach den Präsidentschaftswahlen vom Oktober 1992 aufgenommen. Er wohnt im Stadtviertel Yabassi von Duala, gegenüber einem Parlamentsabgeordneten der Oppositionspartei UPC, der inzwischen in die Regierung eingetreten ist. Sabo war verraten worden, und man brachte ihn zur Polizei, um aus ihm herauszuquetschen, wo ich sei.

Dies und andere Umstände ließen mir keine andere Wahl, als das Land zu verlassen. Mein Problem war folgendes: Die Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte hatte mir zwar ein Stipendium für ein Jahr gewährt, aber die Gültigkeit meines kamerunischen Passes endete am 26. Juni, und aus naheliegenden Gründen konnte ich ihn nicht verlängern, weswegen ich von der deutschen Botschaft in Jaunde zunächst kein Einreisevisum erhielt. Freunde und Verwandte hatten zugesagt, sich um die Sache zu kümmern und mir meine Papiere später zukommen zu lassen. Am 4. Juni verließ ich Duala unter falscher Identität in Richtung Lagos in Nigeria. Mit mir kam ein „Schlepper“, Angestellter der kamerunischen Eisenbahnen, der die Verhältnisse und Gebräuche des Milieus gut kennt.

Der Beamte der Auswanderungspolizei in Mudemba – der Grenzort zu Nigeria – studierte lange mein Foto und konsultierte eine vor ihm liegende Liste. Mein „Schlepper“ roch Gefahr und hinderte ihn am Fortgang seiner Recherche, indem er bewährte Argumente einsetzte, die bei bestimmten Personen immer wohlklingen und viel bewirken. Ich bat ihn herauszufinden, was auf dieser Liste stand. Es gelang ihm später, sie sich zeigen zu lassen. Sie enthielt Fotos und Namen der wichtigsten politischen Gegner Biyas; mein Bild und Name waren darauf ebenso wie die mehrerer anderer Führungsmitglieder des Studentenparlaments. Man erklärte ihm, es gebe den Befehl, uns am Verlassen des Landes zu hindern.

Am 21. Juni fuhr ich von Lagos zurück nach Calabar nahe der Grenze zu Kamerun, um meinen „Schlepper“ wiederzutreffen, der mir meinen Paß und diverse andere Papiere bringen sollte. Er hatte drei Tage Verspätung und war in einem fürchterlichen Zustand: nur mit einer Hose, einem alten T-Shirt und Latschen bekleidet, den ganzen Körper von Schlag- und Mißhandlungsspuren bedeckt. Wie sich herausstellte, hatte er Duala am 16. Juni verlassen und war von einer Polizeibrigade aufgegriffen worden, die meine Papiere bei ihm fanden und daraus ableiteten, daß er meinen Aufenthaltsort kannte. Sie brachten ihn zur Polizeiwache der Stadt Buea und folterten ihn. Zwei Tage später sollte er nach Jaunde überführt werden. Glücklicherweise hatten die wachhabenden Polizeibeamten seit einigen Monaten kein Gehalt mehr bekommen, und die 120.000 CFA-Francs (750 DM), die der Gefangene bei sich hatte, waren für sie ein Motiv, sich nicht zu sehr zu bemühen; sie behielten ihn gerade lange genug, um ein Vorgehen auszutüfteln, das ihre Vorgesetzten beruhigen würde, nahmen ihm alles Geld ab und ließen ihn laufen.

Nun fürchtet er, seine Arbeit zu verlieren. Außerdem hatten die Polizisten, die ihn gehen ließen, ihm klargemacht, daß er sich damit noch lange nicht in Freiheit befände und beim nächsten Mal mit keiner Gnade rechnen könne.

Unter den Papieren, die er retten konnte, war ein Brief an mich mit dem Inhalt, daß das Universitätsgelände immer noch ständig überwacht sei; mehrere Studenten seien freigekommen, aber von andern gebe es noch kein Lebenszeichen, und sieben hätten das Land verlassen.

Am nächsten Tag, dem 22. Juni, konnte ich nach Lagos zurückfahren und die Formalitäten meiner Reise nach Hamburg klären. Ich ging zum Lufthansa-Büro, wo man mir aber das von der Hamburger Stiftung bereits im Mai besorgte Flugticket nicht aushändigte – mein Paß enthielt zwar jetzt ein Deutschland-Visum, aber es war wie der Paß insgesamt nur bis zum 26. Juni gültig. Man schickte mich zur deutschen Botschaft, wo ich einen Brief des deutschen Konsuls in Duala vorzeigte, den mein Schlepper mitgebracht hatte. Über ihn konnte ich schließlich mein Ticket abholen. Der deutsche Konsul machte mir klar, daß ich nicht nach Deutschland einreisen könne, wenn ich nicht spätestens am 26. Juni am Flughafen Frankfurt einträfe.

Am 25. Juni ging ich zum internationalen Flughafen „Murtala Mohammed“ in Lagos. Dort ließen mich die Lufthansa-Kontrolleure aber aufgrund meines unorthodoxen Passes und Visums nicht an Bord. Als sie den Brief des Konsuls von Duala zu Gesicht bekamen, ließen sie mich einsteigen, nahmen mir aber den Paß ab. Sie sagten, ich würde ihn erst in Frankfurt wiederbekommen.

Bei der Ankunft in Frankfurt am 26. Juni hielt mich der Bundesgrenzschutz aus demselben Grund wieder 45 Minuten fest. Es war ein Samstag, alle Büros waren geschlossen, und daher war niemand im Außen- oder Innenministerium zu erreichen, der mein Problem hätte lösen können. Die sehr höflichen Polizisten erklärten mir, sie könnten mich in Ermangelung jeglicher Garantie nicht einreisen lassen und müßten mich daher entweder bis Montag festhalten oder wieder zurückschicken. Ich gab ihnen die Telefonnummer der Leiterin der Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte, Martina Bäuerle. Erst aufgrund ihrer Intervention konnte ich das Flugzeug nach Hamburg besteigen.

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