Geklaute Rechnungen kassiert

■ Ein 40jähriger betuppte mindestens 15 BremerInnen um Beträge von 50 bis 200 Mark

Eigentlich ist es ja ein feiner Zug, wenn jemand Rechnungen aus Briefkästen klaut — jedenfalls den Adressaten gegenüber. Weniger fein ist dann allerdings, wenn der gleiche Mensch die Rechnungen unter „Vorspiegelung falscher Tatsachen“, wie Staatsanwalt Hampf es gestern vor dem Bremer Amtsgericht nannte, einen Tag später persönlich eintreibt und so reihenweise Leute über den Leisten zieht.

Genau das aber war die Masche, mit der Hans-Jürgen F. (40) zwischen September 1992 und März 1993 mindestens 15 Bremerinnen und Bremern zwischen 50 und 200 Mark aus dem Portemonaie zog. Der Angeklagte selbst hielt gestern in der Verhandlung vor dem Bremer Amtsgericht die Zahl seiner Opfer für wesentlich höher: „Da haben bei weitem nicht alle Anzeige erstattet.“

Er sei „immer hinter dem Briefträger hergegangen“, erzählte F. weiter. „Die Briefe mit den Rechnungen guckten meist aus den Briefkästen heraus, weil sie vom Format her länger sind. Oder sie waren einfach vor die Tür geworfen.“ Der gebürtige Sauerländer hatte sich bei seinen Streifzügen auf Bremer Häuser mit Windfang spezialisiert. Nachdem er die Briefe geklaut hatte, ging er wenig später erneut zu den Adressaten. Mal gab er sich als Außendienstmitarbeiter des Fernmeldeamtes, mal als Stadtwerke-Mitarbeiter aus. 100 Mark hier für die Telefonrechnung, 130 Mark für eine offene Stadtwerke- Rechnung. Einer Japanerin nahm er eine „Bearbeitungs-Gebühr“ in Höhe von 40 Mark ab, weil er ihr einen Brief der Kripo Bremen überreicht und erläutert hat. „Ich bin dabei immer sehr höflich gewesen, wie die Leute eben so sind von den Stadtwerken oder der Post.“ Wer nicht zahlen wollte, das stellt sich später im Prozeß heraus, wurde aber auch bedroht mit lapidaren Sätzen wie: „Dann muß ich den Strom abstellen“ oder „Das hat Konsequenzen.“

Besonders Ausländer hat F. in diesem halben Jahr über den Tisch gezogen. Einem türkischen Opfer erklärte er, daß Ausländer ihre Telefonrechnungen jetzt immer am Monatsanfang bezahlen müßten, „wegen eines neuen Gesetzes“. Das Geld, das er auf diese Weise eintreibt, quittiert er auf improvisierten Papieren, teils mit der Unterschrift seines richtigen Namens. Um seriöser zu erscheinen, schreibt er noch fiktive Telefonnummern und fiktive Bürozeiten mit auf die Quittungen: „F., Mitarbeiter im Außendienst, Zimmer 17, Tel. XXX XXX, Dienstags bis donnerstag, 9 bis 11 und 14 bis 16 Uhr.“ Manchmal erläßt er auch Teilbeträge. „Am liebsten waren mir Summen um 50 Mark, die haben die Leute auch meist gezahlt“, gesteht er. „Bei größeren Beträgen hört es auch moralisch für mich auf.“

„Mir kommen die Tränen“, bricht es da aus dem Staatsanwalt hervor. Der Angeklagte hatte zuvor 45 Minuten lang eine Biographie wie aus dem Lehrbuch eines Sozialarbeiters für unschuldig verkrachte Existenzen vorgetragen: Aus Unwissenheit in die Mühlen der Justiz geraten, dann keine Wohnung, keine Arbeit, kriminell geworden und eingefahren, drei-, viermal ist F. seinen Angaben nach durch diesen Kreis gelaufen.

Der Prozeß wird nächsten Freitag fortgesetzt. mad