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Pfade aus dem Sumpf der Gewalt

■ Engagement gegen Haß und Gewalt in Wuppertal

Nein, der achtjährigen Votini kommt kein Ton über die Lippen. Ob ihr der soeben erreichte Platz vertraut ist, verrät sie nicht. Votinis Schweigen macht Sinn. Den Sozialarbeiter, der sie fragt, kennt sie ebensowenig wie die anderen fünf Kinder der Gruppe, die, statt die Schulbank zu drücken, an diesem Montag gemeinsam die Nordstadt in Wuppertal-Elberfeld erkunden.

Zusammengebracht hat diese altersgemischte Schar aus den verschiedenen Schultypen der „Arbeitskreis Nordstadt“, eine vom städtischen Jugendamt ins Leben gerufene Initiative, in der sich Eltern, Lehrerinnen, Sozialarbeiter und kirchliche Familienberater engagieren. „Erlebnisse statt Gewalt“ lautet das Motto des jüngsten Projektes, das knapp einhundert Kinder der Klassen 1 bis 6 aus neun Schulen des Stadtteils für vier Tage in ungewohnter Umgebung bei Abenteuerspielen, Naturerlebnissen und Stadterkundungen zusammenführt.

Ein bißchen besorgt wirkt Barbara Ihle, Rektorin der Gemeinschaftsgrundschule und zugleich Klassenlehrerin von Votini, am ersten Projekttag schon; doch gleichzeitig gibt sich die engagierte Pädagogin zuversichtlich, daß ihr Schützling „auch in dieser fremden Umgebung gut klarkommen wird“. Schon nach gut einer Stunde, beim Paternosterfahren im Rathaus, bewahrheitet es sich, da ist von der anfänglichen Scheu der kleinen Griechin kaum noch etwas zu spüren.

Davon, daß sie an einem wohl durchdachten, ausgeklügelten Projekt gegen Gewalt und Ausländerfeindlichkeit teilnehmen, ahnen die Kids nichts. Sie sollen während dieser Tage spüren, daß „Sympathie keine Frage von Nationalität oder Herkunft ist, sondern mehr mit gemeinsam gemachten Erfahrungen, positiven wie negativen, zusammenhängt“. Gewiß, auch Burkhard Mast-Weisz vom Jugendamt der Stadt Wuppertal, der diese Hoffnung hegt, weiß, daß es „zunächst keine lokalen Lösungen“ für das bundesweite Problem der Ausländerfeindlichkeit, der Jugendgewalt und des rechten Terrors gibt, aber „lokale Bemühungen, mit vor Ort auftretenden Gewalttaten und Auseinandersetzungen umzugehen“, die hält Mast- Weisz schon für unabdingbar. Für den Sozialarbeiter geht es dabei auch um Prävention, um „den Versuch, zumindest die Chance für das Ausbrechen weiterer Gewalttaten so niedrig wie möglich zu halten“. Zur Prävention zählt der Versuch, Kinder der verschiedenen Schulformen in geschlechts- und nationalitätengemischte Gruppen zusammenzubringen, „denn Gewalt bricht um so heftiger aus, je anonymer sich die Kinder und Jugendlichen gegenüberstehen.“

In der Elberfelder Nordstadt, dem am dichtesten besiedelten Stadtteil in Wuppertal, in dem rund 35 Prozent der Bevölkerung keinen deutschen Paß besitzen, weiß man davon ein Lied zu singen. 1991 herrschte hier zwischen den verschiedenen Schulen ein regelrechter Revierkampf. Schüler der Haupt- und Sonderschule, deutsche wie nichtdeutsche, schlugen vor allem auf die Gymnasiasten des Stadtteils brutal ein. Manche Straßen, Bushaltestellen und Plätze gerieten zu Schauplätzen schlimmer Fehden. Diese Gewalt wirkte wie ein Geburtshelfer für den „Arbeitskreis Nordstadt“, der seither zahlreiche Projekte initiierte. Dabei ging es den im „Arbeitskreis“ Wirkenden vor allem darum, mit den unterschiedlichen Jugendszenen ins Gespräch zu kommen und zwischen den verschiedenen Schulformen gemeinsame Initiativen zu starten. So brachte man die sich einst prügelnden Jugendlichen etwa im Rahmen einer Videowerkstatt zum Thema Gewalt zusammen. Elf Kurzfilme produzierten die Kids. Daß dabei die Grenzen zwischen Opfern und Tätern „verschwammen“, hat Mast-Weisz nicht überrascht: „Gewalt hat etwas mit Darstellung, mit Profilierung zu tun. Bei diesem Videoprojekt vollzog sich das auf einer anderen Ebene. Hier waren die Jugendlichen anders gefordert.“ Inzwischen, so bestätigen Sozialarbeiter und Lehrerinnen, „ist es ruhig geworden“, gehört die Angst vor dem Schulweg weitgehend der Vergangenheit an.

Jetzt will man bei den unteren Jahrgängen präventiv tätig werden. Ein Mosaikstein bildet der Workshop „Erlebnisse statt Gewalt“. Insgesamt, davon ist Rektorin Ihle überzeugt, „müssen sich die Schulen weiter öffnen und sich als Stadtteilschulen begreifen“. Über Eltern-Lehrer-Gesprächskreise will man zudem den Kommunikationsprozeß zwischen Eltern und LehrerInnen zum Thema Gewalt in Gang bringen. Achim Schad, Leiter der örtlichen Familienbildungsstätte und Vater einer schwer zusammengeschlagenen Tochter, hofft, daß über diesen Weg die gegenseitigen Schuldzuweisungen zwischen Lehrern und Eltern, „die in eine Sackgasse von Hilflosigkeit und Resignation führen“, endlich ein Ende finden. Begonnen wird damit zunächst an allen Grundschulen im Stadtteil. Dabei sind heiße Diskussionen zu erwarten, denn wegen der „zunehmenden Rappeligkeit und Distanzlosigkeit“ (Ihle) der Schulanfänger dürften Lebenswelt und Erziehungsstil vieler Eltern ins Zentrum der Kritik geraten. Denn es gibt inzwischen auch schon Erstkläßler, die mitunter ihre Lehrerin so anmachen: „Verpiß dich, du Ziege.“ Walter Jacobs

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