Donatella Di Rosa bringt Militärs zu Fall

Die Italienerin enthüllt Pläne für einen Putsch am Jahresende / Behörden reagieren panisch  ■ Aus Rom Werner Raith

Alles wie gehabt? Italien, das sich nur zwei Jahre nach dem letzten Urnengang auf vorgezogene Neuwahlen im kommenden Frühjahr vorbereitet, reibt sich die Augen: Als seien da nicht in den letzten Monaten spektakuläre Strafverfahren gegen die alte, korrupte Nomenklatura, gegen Mafiafreunde, geschmierte Richter, Geheimdienste auf Abwegen in Gang gekommen, läßt sich die neue Wahlkampagne wieder ganz nach herkömmlichem Muster an. Seit Wochen steht Italien unter dem Schock blutiger Terroranschläge. Und geradezu bündelweise überschwemmen Enthüllungen über alle möglichen, teilweise schon weit zurückliegenden Politmorde sowie Gerüchte über geplante neue Verbrechen das Land, bis hin zu Putschvorbereitungen.

So dringen, fein dosiert, seit Wochen angebliche KGB-Materialien in die italienischen Medien, nach denen die KP Italiens in den 70er Jahren eine Art Untergrundarmee ausgebildet haben soll, Gegenstück zu der geheimen Nato- Struktur „Gladio“, die ihrerseits die Ausschaltung der Linksopposition hätte garantieren sollen, wäre diese in demokratischen Wahlen an die Macht gekommen. Ugo Pechioli, derzeit Vorsitzender der parlamentarischen Kontrollkommission für die Geheimdienste, kommt als angeblicher Leiter dieses „Gladio rosso“ damit ebenso wie seine Partei, die KP-Nachfolgegruppierung PDS, schwer unter Druck. Die bisher guten Wahlchancen schwinden.

Gleichzeitig ist eine wahre Enthüllungsserie zur bereits fünfzehn Jahre zurückliegenden Entführung und Ermordung des christdemokratischen Parteiführers Aldo Moro im Gange. Derlei Neuigkeiten dienen nur scheinbar der historischen Korrektheit – vor allem bringen sie Top-Politiker in Schwierigkeiten. So etwa den siebenmaligen Ministerpräsidenten Giulio Andreotti, der seinerzeit als Ministerpräsident und Oberaufseher über die Geheimdienste eine undurchsichtige Rolle im Fall Moro spielte. Er steht zwar im Augenblick wegen des Verdachts mafioser Bandenbildung und Anstiftung zum Mord unter Anklage, bereitet jedoch mit Hilfe kirchlicher Kreise gleichzeitig sein Comeback vor.

Die berunruhigendsten Nachrichten betreffen jedoch die Gegenwart: Seit voriger Woche kursieren Indiskretionen über ein beim Untersuchungsrichter Pierluigi Vigna in Bologna und den zuständigen Militärbehörden anhängiges Ermittlungsverfahren gegen eine Anzahl hoher Offiziere. Ihnen wird vorgeworfen, für Ende dieses, Anfang nächsten Jahres einen Staatsstreich vorbereitet zu haben. Ausgelöst worden waren die Ermittlungen durch Donatella Di Rosa, eine Frau, die „Beziehungen“ zu einer stattlichen Reihe Militär- und Geheimdienstchefs hatte. Sie verfügte über derart präzise Informationen, daß Verteidigungsminister Fabio Fabbri sich zur Suspendierung einiger hoher Offiziere veranlaßt sah. Außerdem war er gezwungen, knapp vierhundert Mitglieder des militärischen Geheimdienstes SISME zu entlassen und ein Ausbildungscamp auf Sardinien zu schließen, in dem die Geheimtruppe „Gladio“ lange Zeit ihre Mitglieder ausgebildet hat.

In Verdacht der Putschvorbereitungen geraten sind selbst die Führungsspitzen des Militärs selbst, so etwa Generalstabschef Goffredo Canino, den Donatella Di Rosa der Teilnahme an konspirativen Treffen mit Putschisten und Bombenlegern bezichtigt. So sollen in die Umsturzvorbereitungen auch Personen wie der Neofaschist Gianni Nardi einbezogen sein. Der Mann wurde unter anderem wegen der Teilnahme am Sprengstoffanschlag auf die Piazza della Loggia in Brescia 1974 – sechs Tote – und wegen der Ermordung eines Polizeikommissars gesucht, seit 1976 nimmt man an, daß er in Spanien tödlich verunglückte.

Auch der derzeit unbehelligt in Frankfurt lebende Kroate Friedrich Schaudinn, der wegen des Anschlags auf den Schnellzug Neapel–Bologna 1984 (17 Tote) in Italien zu 22 Jahren verurteilt wurde, soll nach Angaben von Di Rosa als Waffenschieber mit von der Partie sein.

Die Behörden sind ob der Putschgerüchte in große Hektik verfallen; so wurde die angebliche Leiche Nardis in Spanien eiligst ausgebuddelt, ihre Fingerabdrücke mit denen des Militärarchivs (der Terrorist war vorher Soldat) verglichen, wodurch angeblich die Identität der – merkwürdigerweise einbalsamierten – Leiche zweifelsfrei festgestellt werden konnte. Die spanischen Behörden bezweifeln jedoch, daß die von Italiens Militär beigebrachten Fingerabdrücke wirklich die richtigen sind.

Geheimdienstexperten wie der römische Professor Giuseppe De Lutiis sehen in den Enthüllungen nicht nur einen internen Machtkampf des Militärs und der Spionageabwehr, sondern auch Versuche zur Beeinflussung der Administration von Ministerpräsident Ciampi, die aufgrund der massiven wirtschaftlichen und politischen Krise zu schweren Eingriffen in die italienische Gesellschaftsstruktur angesetzt hat. Analoge Fälle hatte es zum Beispiel bereits 1962 und 1974 und erneut 1980 gegeben, als die jeweiligen Regierungen aufgrund öffentlichen Drucks zu schwerwiegenden Maßnahmen gezwungen war und sofort die Putschgerüchtemaschinerie in Gang kam.