: Bücherchaot aus der Turmstraße
■ Gesichter der Großstadt: Nach dem Motto "Immer gegen den Strich" betreibt K.P. Rimpel die Dorotheenstädtische Buchhandlung" am Moabiter Kriminalgericht
„Eigentlich ist Tucholsky schuld“, meint Buchhändler K. P. Rimpel aus der Turmstraße 5 auf die Frage, was ihn aus Westerland auf Sylt nach Berlin verschlagen hat. Als er 1966 den Musterungsbescheid erhielt, packte er seine Sachen, brach die Elektrikerlehre ab, zog nach Berlin und machte das, was er eigentlich schon immer machen wollte: Er lernte Buchhändler. Die Lehre fand allerdings ein abruptes Ende. Es war die Zeit des Vietnamkriegs, die Berufsschule wurde bestreikt, und zu seinem eigenen Erstaunen folgte die Klasse seinem Aufruf „Wir gehen jetzt raus!“ Damit war die Zeit des Rädelsführers in dieser Lehrstelle beendet. Er flog.
Für einige Jahre sorgte er dann als Verkäufer dafür, daß der Konsumtempel KaDeWe für verirrte Demonstranten die Mao-Bibel bereithielt und die „Klassiker des Anarchismus und Sozialismus“ zum Stammangebot der Taschenbuchabteilung des Kaufhauses gehörten. Aus der Leitung der Parteibuchhandlung der maoistischen KPD wurde glücklicherweise nichts. Zu heiß für den „ewigen Ketzer“, wie er sich selbst nennt.
Nach einem Zwischenspiel in Berlins südlichen Provinzen ist der liebenswürdige Chaot seit 1984 zwischen seinen Büchern in einem Laden direkt gegenüber dem Kriminalgericht zu finden.
Was hätte näher gelegen, als hier ein breites Angebot von juristischer Literatur aufzubauen – nicht für Rimpel. „Immer gegen den Strich“ meint der inzwischen 44jährige, mit der Folge, daß von einem Juristen höchstens mal ein Gedichtband in der Auslage zu finden ist. Einschlägig sind allenfalls die Krimis.
Im Bestreben, sich aber doch auf den Ort voller Paragraphen und Strafen einzustellen, ist manchmal die Schaufensterscheibe des Ladens zu bewundern. Ende vergangenen Jahres hing wochenlang ein Foto vom Tête-à-tête Honecker/Kohl aus Honis besseren Tagen im Fenster. Der Untertitel „Gleiches Recht für alle“ hat Aufsehen erregt und war dankbares Filmobjekt gelangweilter Fernsehteams aus dem In- und Ausland, die den Honecker-Prozeß verfolgten.
Für seine linken Freunde hat er zuweilen Überraschendes parat: Ami-Importe mit Aktfotos gleich neben den Klassikern zur direkten Entspannung. Rimpel ist mit seiner „Dorotheenstädischen Buchhandlung“ in Moabit inzwischen eine kulturelle Institution. Er selbst ist Mitglied im „Moabiter Ratschlag“ und im bezirklichen „Kulturbeirat“. Ein breites Spektrum von Berlin- und kiezbezogener Literatur, vor allem aber die Lesungen locken Leute aus der ganzen Stadt in die Turmstraße.
Auf die Frage, welche Veranstaltung für ihn die interessanteste war, nennt Rimpel die mit Günter Schabowski kurz nach dem Mauerdurchbruch, seine liebste: die Lesung von „Kaffee-Klöschen“, Grotesken aus den zwanziger und dreißiger Jahren. Und die kleinen und großen Provokationen gehen weiter. Am 3.11. kommt „Sudel-Ede“ Schnitzler zu Besuch.
Derweil stapeln sich schon wieder die Bücher in den Regalen und auf dem Boden. Der Umzug zwei Häuser weiter in größere Räume hat nur kurzfristig größere Bewegungsfreiheit gebracht. Der Keller ist mittlerweile auch schon wieder voll. Nach dem Motto „Die Ladenhüter von heute sind die Raritäten von morgen“ hat der Buchhändler Restbestände aufgelöster DDR- Verlage aufgekauft: DDR-Lizenzausgaben westlicher Bücher, Bildbände, christliche Literatur, Kunstbücher, vergessene Schätze der DDR-Literatur, Amiga- Schallplatten.
Inzwischen tauchen die Schriftsteller selbst auf und sichern sich die Restbestände ihrer längst vergriffenen Bücher. Und samstags zwischen eins und zwei findet sich eine merkwürdige Runde von Teetrinkern ein, die sich über Berlin, Golfplätze in Brandenburg oder das neueste Buch von Heinz Knobloch, einem Stammgast der Buchhandlung, unterhalten. Rimpel sitzt dabei oder kommt mit seiner neuesten Skurrilität angelaufen: der Geschichte eines Altersheimleiters, der sich ein Sarglager anlegt, von Marek Nowakowski. Jürgen Karwelat
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen