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Klischeeverweigerung

■ „Weg ohne Umkehr“: Der Film von Victor Vicas beendet eine Reihe von Filmen mit Musik von Hans-Martin Majewski

In der rauchenden Trümmerlandschaft flackern helle Feuer. Die Pistole in der Hand, sucht der sowjetische Offizier die Gegend mit der Taschenlampe ab. Grell hebt sich ein verängstigtes Mädchengesicht von der düsteren Umgebung ab. Wenige Tage nach Kriegsende bedeutet der Beutel mit Kartoffeln, den sie an sich klammert, für sie das Überleben.

Die Zuschauer im Jahr 1953 mußten das Schlimmste erwarten. Würde der Bolschewist das Mädchen niederschießen, vergewaltigen oder ihm bloß die Kartoffeln wegnehmen? Victor Vicas' „Weg ohne Umkehr“, mitten im Kalten Krieg gedreht, verweigert sich den Klischees seiner Zeit. Der Offizier Mischa Zorin (Ivan Desny) bringt das Mädchen (Ruth Niehaus) sicher nach Hause. Sieben Jahre später werden sich die beiden in Ost- Berlin wiedertreffen und gemeinsam in den Westen fliehen.

Unaufdringlich und phrasenlos zeichnet der Film die Atmosphäre in der stalinistischen DDR. 1952 kehrt Mischa Zorin als Ingenieur und Leiter einer sowjetischen Kontrollkommission nach Berlin zurück. Dort wird er ständig bespitzelt und muß erleben, wie sein Kollege wegen „Besuchs eines Propagandakonzerts eines kapitalistischen Söldners“ über Nacht nach Moskau zurückexpediert wird. Härter trifft ihn der Tod eines deutschen Ingenieurs, der die Verhöre durch die russische Geheimpolizei nicht mehr ertragen kann, bei der Flucht in den Westsektor die Nerven verliert und aus der S-Bahn springt. Um das Ausgeliefertsein der Menschen an die allmächtige Obrigkeit, die der zynische Geheimdienstler Kazanow (René Deltgen) verkörpert, anschaulich zu machen, geht die Kamera immer wieder in die Vogelperspektive. Ganz klein erscheint Zorin, als er in der russischen Kommandantur verhört wird. Und das Auto, in dem Anna am bösen Schluß zurück in den Ostsektor entführt wird, erscheint nur als winziger Punkt, der sich in Richtung Brandenburger Tor bewegt.

„Weg ohne Umkehr“ bildete den vorläufigen Abschluß einer Reihe ausgewählter Filme im Arsenal, zu denen der Filmkomponist Hans-Martin Majewski die Musik komponiert hat. 1954 erhielt er für „Weg ohne Umkehr“ den Bundesfilmpreis für Filmmusik. Die Musik lebt von ihrem Leitmotiv, das aus Bachs „Wohltemperiertem Klavier“ entlehnt ist und das Majewski erfindungsreich immer wieder neu variiert und instrumentiert. Dünn und zittrig erklingt es zum erstenmal auf dem Schwarzmarkt, wo das Mädchen Anna vergeblich seine Geige zu verkaufen versucht. Zorin, der sie beobachtet hat, packt ihr ein Carepaket. Als sie dem Boten die Tür öffnet, hört man das Motiv mehrstimmig und reicher instrumentiert. Als Leierkastenmusik kehrt das Motiv wieder, synkopiert und verswingt begleitet es Zorins ersten Ausflug in den Westsektor, und am melodramatischen Ende wird es zur Trauermusik. Hin und wieder unternimmt Majewski Ausflüge in die Atonalität, etwa um die Nervosität Zorins vor seinem Verhör zu unterstreichen. Spannung wird durch dumpfe, stetig wiederholte Trommelrhythmen erzeugt: Sie erklingen am Anfang des Films, wenn die Kamera über die Trümmerlandschaft schweift, und während der Flucht, die über ganz ähnliche Schuttberge führt. Die Wirkung der Musik erhöht sich dadurch, daß sie sehr sparsam eingesetzt wird und so mit der Stille kontrastieren kann.

Die angekündigte Diskussion mit Hans-Martin Majewski mußte ausfallen, da der 72jährige Komponist erkrankt war. Im Januar will das Arsenal die Diskussion nachholen. Miriam Hoffmeyer

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