: Darf man über Afrika lachen?
Filmwelt Afrika: Eine umfangreiche Filmreihe im Haus der Kulturen der Welt ■ Von Dorothee Wenner
„Filmwelt Afrika“ steht über einer groß angelegten Filmreihe im „Haus der Kulturen der Welt“, die am 22. Oktober mit einem dreitägigen Eröffnungsprogramm beginnt und bis zum 31. März '94 über 70 Filme zeigt. Die Preisträger des diesjährigen Filmfestivals von Ouagadougou, Burkina Faso, bilden das Grundgerüst des Programms, außerdem wird eine Auswahl von Klassikern des afrikanischen Kinos zu sehen sein. Das Arsenal-Kino wiederholt später im Jahr Teile des Programms, und während der Berlinale im Februar soll „Filmwelt Afrika“ mit einem Länderschwerpunkt fortgesetzt werden: Das Internationale Forum des Jungen Films zeigt neue Filme und Videos aus dem südlichen Afrika. Eine große Zahl hierzulande unbekannter Filme gilt es also zu entdecken, andere haben auf diversen Festivals schon für Aufsehen gesorgt.
Um eines haben die nach Afrika entsandten „Erstweltler“ sich und ihre Landsleute seit frühesten Kolonialzeiten betrogen: um das Lachen über die selbstinszenierten Absurditäten. Das bis heute wirkende Tabu – Afrika ist Elend und kein Spaß! – hat guten Grund, denn zumeist sind es die Botschafter, Berater, Entwicklungshelfer und selbsternannten Zivilisationsträger, die in der Zielscheibe des Spottes stehen müßten. Bei medialen Enthüllungen ihrer merkwürdigen Machenschaften in Afrika würden die Experten Gefahr laufen, sich selbst zu denunzieren. Und außerdem begibt man sich bei den Anekdoten über schiefgelaufene Kolonial- oder Entwicklungspolitik sowieso schnell auf Glatteis, denn die meisten lustigen Geschichten enden mit echten Katastrophen, über die zu lachen sich von selbst verbietet. Zwischen Zynismus und Solidarität mit Afrika verläuft eine komplizierte Grenze, – und genau auf diesem Grat bewegt sich der an der Berliner DFFB ausgebildete Regisseur Raoul Peck mit bemerkenswerter Eleganz. „Lumumba, la mort d'un prophète“ heißt sein Porträt des charismatischen Revolutionärs Patrice Lumumba, dem ersten Premierminister des formell unabhängigen Kongo (Zaire). Am 17. Januar 1961, genau 200 Tage nach Unterzeichnung der Unabhängigkeitserklärung, wird Lumumba auf grausame Weise ermordet. Raoul Peck, gebürtiger Haitianer, hat „La mort d'un prophète“ in Belgien gedreht. Wie es zu dieser irgendwie abenteuerlichen Ausgangssituation für einen afrikanischen Film kam, erzählt der Regisseur im kurzweiligen Kommentar. Seine Eltern als französischsprechende, schwarze Akademiker schienen belgischen Verwaltungsbeamten der fünfziger Jahre die geeignetesten Personen, Know-how in die afrikanische Kolonie zu bringen. Und dort, genauer gesagt in Kinshasa (Leopoldsville) verbrachte der 1953 geborene Raoul Peck seine Kindheit. Angelehnt an die eigene Biographie rekonstruiert er mit Hilfe von Fotos aus dem Familienalbum und einigen Archivaufnahmen die chaotische Umbruchphase des Landes bis zum Tod Lumumbas. Der selbstbewußte Politiker entsprach mit seinen kühnen Plänen keineswegs den Vorstellungen, die man in Europa oder Amerika von afrikanischen Präsidenten hatte. Ohne jemals plumpe Agitation zu betreiben, erklärt „La mort d'un prophète“, wie in einem zuweilen grotesken Zusammenspiel reaktionärer Kräfte in der Ersten Welt und in Afrika Patrice Lumumbas grandiose Karriere auf brutale und hinterhältige Weise beendet wurde.
Eigentlich wollte Peck diesen Film in Zaire drehen, aber seine Bemühungen endeten am Schalter der Sabena-Luftlinie. Die afrikanischen Behörden verweigerten die Einreise. Also entschließt sich Peck, der „La mort d'un prophète“ vor kurzem als eine Hommage an seinen Kollegen Chris Marker bezeichnet hat, statt dessen Szenen aus dem vorweihnachtlichen Brüssel zu zeigen. Was als filmische Notlösung beginnt, verwandelt sich durch eine geschickte Montage zu einem ästhetischen Geniestreich. Die leeren Autobahnen, die festlich illuminierten Kirchen und fröhlichen Empfänge in der Hauptstadt einer ehemaligen Kolonialmacht verlieren, ohne ein direktes Wort der Anklage, ihre zur Schau gestellte Unschuld. Dieser Film brennt sich ins Gedächtnis, weil er den Sarkasmus und Surrealismus afrikanischer Zeitgeschichte zum cinematographischen Vorteil zu nutzen versteht.
Ein anderes Highlight in der afrikanischen Filmreihe ist der senegalesische Film „Guelwaar“ von Ousmane Sembène. „Guelwaar“ erzählt von den Wirren einer höchst komplizierten Beerdigung, bei der die Leiche erst verschwunden ist, weil sie aus Versehen auf einem islamischen Friedhof beigesetzt worden war. Der Tote muß wieder ausgebuddelt werden, um ein zweites Mal nach katholischem Brauch bestattet werden zu können. Auch „Samba Traoré“ von Idrissa Ouédraogo sollte man sich vormerken. Dieser Film über einen Bankräuber in Burkina Faso ist in diesem Jahr mit dem „Silbernen Bären“ ausgezeichnet worden. Idrissa Ouédraogo, Raoul Peck und François Woukoache, ein Regisseur aus Kamerun, werden anläßlich der Eröffnung der afrikanischen Filmreihe Gäste im Haus der Kulturen der Welt sein und ihre Filme dem Berliner Publikum vorstellen.
Bis zum 31. März im Haus der Kulturen der Welt.
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