: SPD übt "kalten Blick"
■ "Britzer Kreis" will die Innere Sicherheit in der Partei salonfähig machen / Ein Vorstandsantrag befürwortet den Großen Lauschangriff
Für den Polizeivizepräsidenten Dieter Schenk ist die Innere Sicherheit eine Frage des sozialdemokratischen Staatsverständnisses. „Wir Sozialdemokraten“, so empfahl er gestern morgen seinen Genossinnen und Genossen bei einer Parteiveranstaltung, „müssen erst mal lernen zu sagen, ,wir sind der Staat‘.“ Dies sei die wichtigste Voraussetzung der Verbrechensbekämpfung. Für Schenk bedeutet dies, sich von dem „schlechten Gewissen“ zu verabschieden, mit dem die SPD bislang auf die gesellschaftlichen „Umstände“ verwies, wenn sie Kriminalität erörterte.
Was statt dessen künftig die Parteiprogramatik bestimmen soll, ist einem Neun-Punkte-Papier zu entnehmen, das der parteirechte „Britzer Kreis“ gestern auf der Veranstaltung zur Diskussion vorlegte. Präventive Maßnahmen in der Jugend-, Bildungs- und Sozialpolitik, so ist da zu lesen, und eine entschiedene Bekämpfung der jetzt vorhandenen Kriminalität seien keine Gegensätze. Während die bisherige Leitlinie sozialdemokratischer Sicherheitspolitk, so Schenk, in der Übernahme liberaler Positionen bestand, will man zukünftig einzelne Vorschläge nicht allein deshalb tabuisieren, bloß weil sie auch von den Konservativen propagiert werden.
Das trifft vor allem auf den Großen Lauschangriff zu, den der Sprecher des Kreises, Frank Bielka, genauso befürwortet wie der Bundestagsabgeordnete Gerd Wartenberg. In dessen Augen gibt es keine andere Möglichkeit, um an diejenigen, die eine Straftat verabreden, heranzukommen. Die hätten, so Wolfgang Schomburgs Gegenposition, die Möglichkeit, auf andere Wege auszuweichen. Der Ex-Justizstaatssekretär warnt davor, „aus tagespolitischen Interessen den Grundrechtskatalog einzuschränken“. Bielka hält das für eine „scheinideologische Debatte“ und unterstützt den Vorstandsantrag für den Bundesparteitag, in dem der Große Lauschangriff befürwortet wird.
Der Antrag wird, so Schomburgs Einschätzung, eine Mehrheit erhalten; man kommt, meint auch Wartenberg, nicht darum herum. Der Bundestagsabgeordnete, der eigentlich zur Parteilinken zählt, fordert seine Parteifreunde auf, Kriminalität nicht nur mit dem „sozialen Blick“ zu betrachten, sondern auch mit „kaltem Blick“ darauf zu achten, daß ein Gesetzesbruch eine Sanktionierung nach sich zieht. Er sieht sich dabei im Einklang mit so manchen Altlinken, die wie Enzensberger oder Schneider neuerdings auf den Selbstbehauptungswillen der Gesellschaft abstellen. Hier, so Wartenberg, vollziehe sich ein Paradigmenwechsel. Dieter Rulff
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