: Der Tennisspieler, eine launische Diva
■ Michael Stich in den Fußstapfen von Boris Becker: Der Elmshorner erwägt, im nächsten Jahr wegen „individueller Prioriäten“ nicht mehr im Daviscup zu spielen
Berlin (taz) – Es kam, wie es kommen mußte: Erst holt sich Michael Stich den abgelegten Trainer von Boris Becker, Nikola Pilic, seines Zeichens Daviscup-Teamchef, und dann verspürt er ganz wie sein großer Gegenspieler urplötzlich keine Lust mehr, für die Nation das Racket zu schwingen. Auch die Argumente sind in etwa die gleichen. Er wolle seinen individuellen sportlichen Zielen Priorität einräumen. „Wenn ich nächstes Jahr die Chance habe, die Nummer eins der Welt zu werden, kann es sein, daß ich die ersten Runden nicht spiele“, sagte Stich. Das hat Becker auch gesagt. Und seit er seinem Egoismus frönt, auf dem Tennisplatz keinen Stich mehr gemacht. Alles Zufall? Jedenfalls entwickelt sich der große Schwarze aus dem hohen Norden immer mehr zum Becker-Kopierer. Was sich ja bereits im Nachahmen des Wimbledonsieges abzuzeichnen begann.
Aber in der Geschichte des Tennis-Mannschaftssports gibt es große Vorbilder für kurz- und langzeitige Daviscup-Abstinenzen. John McEnroe zum Beispiel. Der eigentlich trotz aller verbaler Eskapaden liebend gerne für die Stars and Stripes auf den Court ging. Allerdings entsagte er dem Sport-Patriotismus 1984. Der Spaß hörte für ihn auf, weil ihm Teamchef und Tennis-Gentleman Arthur Ashe mit einer Verpflichtungserklärung, wonach er sich auf dem Platz halbwegs anständig zu benehmen hätte, Benimm beibringen wollte. McEnroe wollte nicht.
Oder Jimmy Connors. „Jimbo“, ebenfalls ein Outlaw der Tennis- Etikette, war immer Egomane genug, um nur hin und wieder, einer launischen Diva gleich, ein kurzes Stelldichein im Nationen-Cup zu geben und sonst all jenen, die es (nicht) hören wollten, zu bescheiden, er werde sich nicht von irgend jemand vorschreiben lassen, wie er zu spielen habe. Tennisspieler, im Herzen kleine Anarchos?
Auch Österreich, der Erstrunden-Gegner Deutschlands im kommenden Jahr, hat sein Daviscup-enfant-terrible: Thomas Muster. Wegen Streitigkeiten mit Verbandspräsident Rudolf Mader boykottierte der Alpenkönig den Wettbewerb. Doch beim Turnier in Wien gibt's erste Annäherungsversuche: die Anwälte von Muster und dem Österreichischen Tennis- Verband (ÖTV) trafen sich zu Schlichtungsgesprächen. Es bahne sich ein Kompromiß an, der das Antreten des besten Teams garantiere, hieß es.
Daviscup – wenn's schlecht läuft, setzen die Großverdiener viel Geld in den Sand. Läuft's gut, ist's gut fürs Prestige. coh
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