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Die Wehrhaften von der Wesermarsch

Dasa-Arbeiter im niedersächsischen Lemwerder blockieren Werkstore und wollen ihre Chefs verklagen / 1.300 Arbeitsplätze stehen im Flugzeug-Wartungswerk auf dem Spiel  ■ Aus Bremen Christine Holch

„Wir machen aus dem kleinen Dorf Lemwerder das Gallien unserer Republik“, sagt ein Betriebsrat siegesgewiß. Man hat den Kampf gegen die Chefs der Dasa in München, eine Daimler-Tochter, aufgenommen. Hier an der Weser, gegenüber Bremen, soll das Flugzeug-Wartungswerk der Deutschen Aerospace GmbH geschlossen werden. Rund 1.300 Arbeitsplätze gingen damit der ohnehin strukturschwachen Küstenregion verloren.

„Eine Riesenschweinerei“, kommentiert ein 19jähriger Fluggerätemechaniker das Verhalten der Unternehmensspitze: Außer einem schnöden Fax liegen dem Betriebsrat nämlich bislang weder Begründungen noch Zahlen vor. Kurzfristig hat einer der Dasa- Chefs außerdem seinen Besuch in Lemwerder abgesagt, statt dessen in Bayern ein neues Flugzeug einem Kunden übergeben. „Hier scheint mir eine neue brutale Daimler-Unternehmenskultur ausgebrochen“, meint Gesamtbetriebsrat Hilbrink.

Die erste Niedergeschlagenheit der Belegschaft ist bald in Wut und Aktion umgeschlagen. Zuallererst hat man nur die Fähre über die Weser blockiert, am Freitag dann gleich die Autobahn A 28 bei Oldenburg. Auch dem Parteitag der Bremer SPD stattete man einen Besuch ab. Fast flüsternd bat dort der mittlerweile schon heisere Betriebsrat Beckmann um Unterstützung. Seit Samstag werden die Werkstore rund um die Uhr bewacht: damit keine Maschinen in andere Dasa-Werke abgezogen werden. Man rechnet „mit dem Schlimmsten seitens der Geschäftsleitung“.

Der Konflikt hatte sich zugespitzt, nachdem ein für Samstag geplantes Gespräch zwischen dem niedersächsischen Ministerpräsidenten Gerhard Schröder und dem Dasa-Vorstandsmitglied Hartmut Mehdorn ohne Begründung abgesagt worden war.

Während gestern vor den Werkstoren das Rote Kreuz Erbsensuppe verteilte und ein Spielmannszug aus Delmenhorst für Unterhaltung sorgte, bastelte der Betriebsrat an einer Klage gegen die Dasa-Chefs. Heute will man sie bei der Bezirksregierung in Oldenburg einreichen. Nach Paragraph 121 des Betriebsverfassungsgesetzes muß sich die Betriebsleitung vor Betriebsänderungen mit dem Betriebsrat beraten und sich vertraglich einigen. Nichts davon hat in Lemwerder stattgefunden. Der Betriebsrat will endlich Begründungen für die Werksschließung hören: Schließlich werde man in Lemwerder „selbst im Krisenjahr 1993 mit einer roten Null über den Berg kommen“. Und die Zukunft sehe günstig aus, sagt Betriebsrat Beckmann: Zwar steht man bei der Wartung von Zivilflugzeugen in heftiger Konkurrenz mit Wartungszentren in der ganzen Welt (zum Beispiel in USA, Irland, Malaysia), doch könne man die „etwas höheren Stundensätze“ im Lemwerder-Werk durch die weltweit beste Qualität und größte Schnelligkeit auffangen. Eine Zukunft sieht die Belegschaft vor allem in der lukrativen Umrüstung von alten Passagierflugzeugen in Frachtflugzeuge. Noch vor zwei Wochen hatte die Dasa-Leitung zu einem Großauftrag gratuliert: In Lemwerder sollten 13 Lufthansa-Passagiermaschinen zu Frachtern umgerüstet werden. Dieser Auftrag ist nun offenbar unwiderruflich an die Hamburger und Dresdener Dasa- Filiale umverteilt worden.

Sauer sind die Flugzeugmechaniker in Lemwerder vor allem darüber, daß ihnen die Münchner Chefs auch bestehende Verträge kündigt. Eigentlich nämlich sollten in Lemwerder die Transall-Frachtmaschinen der Bundeswehr bis ins Jahr 2000 hinein gewartet werden. Offenbar, so Beckmann, wolle Dasa-Chef Schrempp der Bundesregierung ein Zeichen setzen nach dem Motto: „Wir machen dicht, wenn ihr nicht endlich klare Vorgaben im Bereich der Militäraufträge und der Raumfahrt macht.“ Das Lemwerder-Werk eigne sich, so Beckmann, für eine Schließung besonders gut, da man hier nur warte und umbaue, nicht aber in den Airbus-Baubetrieb der anderen Dasa-werke eingebunden sei.

Die bestehenden Aufträge will die „hochmotivierte Belegschaft“ unbedingt fristgerecht erfüllen. Ein Streik ist nicht vorgesehen. Doch die Zeit drängt: Wenn die 13 Lufthansamaschinen nicht bald zum Umrüsten in der Wesermarsch landen, dann sind 600 KollegInnen, die bereits seit Jahresbeginn kurzarbeiten, arbeitslos.

Die Belegschaft stellt sich auf einen langen Kampf ein. „Man muß ja nicht alles in einer Woche machen“, heißt es, warum also jetzt schon nach München oder Bonn marschieren? Da gebe es noch allerhand andere schöne Dinge vorher zu tun, die auch nicht zum typischen Arbeitskampf gehörten.

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