: Wird Abdić Präsident?
■ Autonomist macht Izetbegović Amt streitig / Silajdžić soll Regierung bilden
Berlin/Sarajevo (taz) – Während in den UN-„Schutzzonen“ Sarajevo, Maglaj, Tesanj und entlang der kroatisch-bosnischen Linien im Süden erneut schwer gekämpft wurde, drehte sich gestern in Bosnien das Personalkarussell. Der Führer der abtrünnigen westbosnischen Enklave Bihać, Fikret Abdić, meldete Anspruch auf das Amt des bosnischen Präsidenten an.
In einem in der kroatischen Hauptstadt Zagreb veröffentlichten Brief schrieb Abdić, er sehe sich aufgrund der Politik des derzeitigen Präsidenten Izetbegović und dessen „Beitrags zu den Verbrechen an den Muslimen“ gezwungen, als verfassungsmäßiger Präsident Bosniens zu sprechen“. Der Direktor des größten landwirtschaftlichen Betriebes Ex-Jugoslawiens, „Agrokomerc“, erinnerte daran, daß er nach den Wahlen vom Dezember 1990 trotz Stimmenmehrheit zugunsten von Izetbegović auf das höchste Amt verzichtet habe.
Nach über zwei Jahren Krieg aber könne er nun nicht mehr zulassen, daß Izetbegović seinen „persönlichen Vorteil aus Tod und Leiden der unschuldigen Bürger“ Bosniens ziehe. Izetbegović versuche „um jeden Preis, seine monarchistische Herrschaft in Bosnien herzustellen“. Der Autonomist betonte, er werde sich als Präsident für ein sofortiges Ende des Krieges einsetzen. Dabei strebe er „die Unterstützung der Präsidenten Serbiens und Kroatiens an“. Für die Region Bihać, bislang eine bosnische Insel in serbisch besetztem Gebiet, hatte Abdić in der vergangenen Woche separate Friedensverträge mit den bosnischen Serben und Kroaten unterzeichnet. Die Autonomisten kontrollieren zur Zeit rund die Hälfte der Region Bihać, die Stadt selbst wird von Izetbegović-treuen Truppen kontrolliert.
Wohl als Antwort auf Abdićs Forderungen hat das Rumpf-Präsidium Bosnien-Herzegowinas gestern Haris Silajdžić mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragt. Dieser höchsten Körperschaft der ehemaligen jugoslawischen Republik gehören Vertreter der zu Sarajevo loyalen Regionen und Parteien an. Nach Berichten von Radio Sarajevo wurde der derzeitige Außenminister Silajdžić von der „Partei der Demokratischen Aktion“ (SDA) Izetbegovićs für das Amt des Premiers nominiert, da er als Außenminister international „hohes Ansehen“ erlangt habe.
Der 48jährige Silajdžić, der an fast allen Bosnien-Gesprächen der UNO und der EG beteiligt gewesen war, war nach dem Sieg der SDA in den ersten freien Wahlen im November 1990 zum Außenminister ernannt worden. Als Premier soll er nun die Nachfolge des Kroaten Mile Akmadzić antreten, der Ende August aufgrund des von ihm unterstützten offenen Bruchs zwischen den bosnischen Kroaten und der Regierung in Sarajevo aus dem Amt entlassen worden war.
Die Nominierung Silajdžics wurde in Sarajevo als Zeichen einer angestrebten Zentralisierung und Straffung der Arbeit der bosnischen Regierung gewertet. Erst am vergangenen Mittwoch hatte das Rumpf-Präsidium drei neue Mitglieder ernannt, die den wegen Separatismus abgesetzten Fikret Abdić sowie zwei weitere ausgeschiedene Kroaten ersetzen sollen.
Währenddessen wurden sowohl Patrouillen der UN-Blauhelme als auch UN-Hilfskonvois in Bosnien erneut angegriffen. In der Gegend von Novi Travnik wurde ein dänischer UN-Fahrer erschossen, als sein Konvoi plötzlich zwischen die kroatisch-bosnischen Linien geriet. Fünf niederländische Blauhelme wurden bei dem Angriff schwer verletzt. Bei einem weiteren Zwischenfall wurden Angehörige eines skandinavischen UN- Bataillons von kroatischen Truppen bei dem Versuch beschossen, in das Dorf Stupnij Dol in der Nähe von Vareš vorzudringen. Nach Berichten des Bosnischen Rundfunks sollen kroatische Milizen dort am Wochenende 270 muslimische Zivilisten getötet haben. rr
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