: Lice zählt seine Toten
■ Weiter Ausnahmezustand für Kurdistan
Ankara/Berlin (dpa/taz) – Eine Massenflucht aus der türkisch-kurdischen Kleinstadt Lice setzte gestern ein, als um 15 Uhr die Ausnahmesperre aufgehoben wurde. BeobachterInnen von außen durften jedoch auch danach nicht in die Stadt, in der seit vergangenem Donnerstag heftige Kämpfe stattfanden und die von türkischen Militärs tagelang hermetisch abgeriegelt worden war. Wie viele Menschen bei den Kämpfen ums Leben kamen, ist weiter unklar. Die „Arbeiterpartei Kurdistans“ (PKK) spricht von Hunderten von Toten, der Provinzgouverneur gab an, dreizehn Menschen, darunter drei Kinder, seien ums Leben gekommen.
Nach Auskunft der türkischen Behörden sind in der von 20.000 Menschen bewohnten Stadt fast 400 Häuser und rund 240 Geschäfte teilweise schwer beschädigt worden. Auffallend viele Verletzte haben Brandwunden. Über die Urheber des Blutbads herrschte auch gestern Verwirrung. Während türkische Militärs von einem „Generalangriff“ der PKK sprechen, erklärt letztere, die Armee selbst habe die Stadt angegriffen.
Inmitten heftiger Spekulationen trat gestern der „Nationale Sicherheitsrat“ des Militärs zusammen. Er befürwortete eine Verlängerung des Ausnahmezustandes in den zehn kurdischen Provinzen der Türkei um vier Monate. Präsident Süleyman Demirel hatte zuvor sogar eine Verhängung des Kriegsrechtes erwogen.
In ihrem Kabinett hat Premierministerin Tansu Ciller am Sonntag einen neuen Verteidigungsminister, Mehmet Golhan, und einen neuen Innenminister, Nahit Mentese, eingesetzt. Innenminister Mentese wies sich sogleich als Falke in der Kurdistan-Politik aus. „In der Türkei“, erklärte er, „gibt es kein ethnisches Problem, es gibt nur den Terror.“
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