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Die Sache mit der Angst

■ Kriminalitäts-Serie, 2. Teil: Die meisten Verbrechen sind Diebstähle und nicht Raubüberfälle

„Wie sicher ist unsere Stadt“ wird derzeit auf unzähligen Veranstaltungen gefragt. Angst haben viele Menschen vor allem vor Raubüberfällen, also vor gewalttätigen Diebstählen. Doch von den fast 100.000 Straftaten, die im vergangenen Jahr in der Stadt Bremen verübt worden sind, waren nur etwa 1.200 Raubdelikte. 75 Prozent der Delikte waren Diebstähle, darunter 21.000 Diebstähle aus Pkw und 10.000 Fahrraddiebstähle. Die restlichen Delikte waren zum Beispiel Betrugs-, Raub-, Sexual- oder Körperverletzungsdelikte. Darunter sieben mal Mord oder Totschlag und 45 mal versuchter Mord oder Totschlag.

In den letzten zehn Jahren hat die Kriminalität bundesweit um etwa 30 Prozent zugenommen — überwiegend im Bereich der Diebstähle. Dabei nahm die Kriminalität schon während der 80er Jahre zu — die Furcht vor Kriminalität jedoch nicht. Der Kölner Sozialforscher Karl-Heinz Reuband hat zum Beispiel anhand von Umfragen folgendes nachgewiesen: Die Zahl der Bürger, die angeben, daß es in ihrem Wohnumfeld eine Gegend gibt, „wo sie nachts nicht alleine gehen möchten“, sei von 1975 bis 1990 kontinuierlich gesunken. Gleichzeitig aber stieg die Massenkriminalität, insbesondere der Diebstahl aus Autos. Kriminologen vermuten, daß sich die Leute gleichzeitig mithilfe von Versicherungen und durch den steigenden Wohlstand einen „Puffer“ gegen Eigentumsdelikte zulegten. Seit Anfang der 90er Jahre scheint die Angst vor Kriminalität allerdings wieder zu steigen — parallel zur steigenden beruflichen und sozialen Unsicherheit.

Diese Angst muß man ernstnehmen, sind sich KriminalpolitikerInnen einig — auch wenn die Menschen manchmal Angst haben an Orten, die eher ungefährlich sind, zum Beispiel in U- und S-Bahnen. ein anderes Beispiel: In Parkhäusern „ist die Vergewaltigungsrate fast Null“, sagt der Leiter der Bremer Kriminalpolizei, Eckart Mordhorst. Das muß man den Frauen sagen, findet er, außerdem aber die dunklen Klötze heller machen, damit die Frauen nicht auf unsichere Parkplätze ausweichen.

Am liebsten würde Mordhorst Kripo-BeamtInnen von den Eigentumsdelikten abziehen und konzentriert bei den Delikten mit erheblichem kriminellem Unrecht einsetzen, also bei Raub, Sexualdelikten und Organisierter Kriminalität. „Vermeidung von Kriminalität zur Ressourcenfreisetzung“, heißt seine Devise. Kriminalität vermeiden ließe sich zum Beispiel, wenn die Industrie die Autos diebsstahlsicherer ausstatten würde. Vermeiden ließe sich ein Großteil von Kriminalität auch, wenn sich die BewohnerInnen der einzelnen Stadtteile mehr und vor allem gemeinsam um die Sicherheit in ihrem Stadtteil bemühten.

Und damit ist Mordhorst bei seinem Lieblingsthema: Prävention. „Prävention ist Ortsamtsleiterpflicht“, sagt er. Seit Monaten tingelt er durch die Ortsbeiräte, um dort Präventionsbeiräte zu initiieren. Die sollen sich den Stadtteil zum Beispiel auf unsichere Ecken hin anschauen — wo sind Haltestellen uneinsehbar, vor welchen Schwimmbädern gibt es zuwenig Fahrradabstellanlagen ... „Das sind oft ganz furchtbar einfache Dinge.“ Außerdem sollen die Nachbarn ein Auge aufeinander haben, alte Menschen müßten besser eingebunden werden — Mordhorst wünscht sich viel. „Aber wir dürfen natürlich nicht erwarten, daß die Kriminalität dann gleich wieder um 30 Prozent zurückgeht.“

Christine Holch

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