piwik no script img

Motzen pfeift aus dem 18. Loch

Ein Ort wird durch einen Golfplatz „aufgemotzt“ / Die German Masters ziehen von Stuttgart an den Berliner Stadtrand  ■ Aus Motzen Cornelia Heim

Alles, was imponieren soll, muß Charakter haben.“ Mit einem Goethe-Zitat macht der Golf- und Country-Club Motzen Werbung in eigener Sache. Im Arbeiter-und-Bauern-Staat imponierte die kleine Gemeinde, 15 Kilometer südlich des Berliner Stadtrandes, noch den LiebhaberInnen der offiziell verpönten Freikörperkultur. Spätestens seit September 1993 hat sich der Charakter der kleinen märkischen Kommune aber grundlegend geändert. Da wurden 110 Hektar kultivierten Landes ihrer neuen Bestimmung übergeben. Imponierend sind nun nicht mehr die Nacktbadenden am Motzener See, sondern das, was wohlgekleidete Damen und Herren sich zur Ausübung eines Sports aus den Taschen ziehen lassen: Mit 55.000 Mark sind sie dabei. Soviel kostet eine Aktie, die das Tor zur Welt eines Sports öffnet, in dem die Leibesübung nur ein Aspekt ist: „Playing golf while talking business“, heißt die Devise.

Für die Gäste, nicht für die Einwohner des Ortes, der sich nach wie vor zwar inmitten einer pittoresken märkischen Landschaft, aber bar der Errungenschaften westlicher Zivilisation, mit holprigem Kopfsteinpflaster und ohne Straßenbeleuchtung präsentiert. Dennoch, von Sozialneid keine Spur. Sagt die Bürgermeisterin. Angelika Philipp hat keine Berührungsängste ausgemacht – obwohl es den Motzenern mindestens so gehen dürfte wie ihrem Landesvater Manfred Stolpe, der am Montag auf der luxuriösen Anlage vorbeischaute und gestand, noch nie einen Golfball zwischen den Fingern gehalten zu haben. Wie sollte er auch? In der DDR gab es gerade mal zwei Golfplätze, aber keinen Verband für einen Sport, der sich heute noch schwertut, das Klischee vom selbstgewählten sportlichen Ghetto für betuchte Geschäftsleute in Feudalclubs mit hofähnlicher „Etikette“ abzustreifen.

Beiden PolitikerInnen ist weniger an der Entwicklung des 800 Jahre alten Sports, dem vormaligen Nationalspiel schottischer Schäfer, gelegen, als an dem wirtschaftlichen Impuls, den sie sich davon erhoffen. Manfred Stolpe: „Motzen kann für Berlin und Brandenburg ein Platz werden, auf dem sich interessante Gesprächspartner aus Wirtschaft und Politik treffen.“ Motzen, ein Ort wird durch den Golfsport aufgemotzt.

Düsseldorfer Investoren haben sich, einer wohlgenährten Made gleich, in dem Fleckchen Erde im Speckgürtel rund um Berlin festgesetzt, 40 Millionen Mark investiert und das Ödland in einen Golfclub für Wohlbetuchte verwandelt. Mit Speck fängt man bekanntlich Mäuse. Mitunter auch das renommiertestes deutsche Golf-Turnier, die German Masters. Stuttgart ade, Berlin hallo. Die Brüder Erwin und Bernhard Langer haben sich mit ihrem Turnier von Mönsheim gen Nordosten verabschiedet. Was für Motzen und gegen Stuttgart sprach? Die Schwaben müssen wohl ein bißchen zu oft „gemotzt“ haben. Der Grund: Die Anlage ist fünf Wochen wegen des Turniers belegt. Erwin Langer: „Verständlich, daß das nicht allen 1.000 Mitgliedern gleich gut gefiel.“ Die Alternative zu Stuttgart heißt nun sinnigerweise Berlin, ein Ortswechsel, der den Standort- Aktivitäten von Titelsponsor Mercedes-Benz sehr parallel läuft.

„Alles, was imponieren soll, muß Charakter haben.“ Jan Brügelmann hält vom Imponiergehabe wenig. „Die elitär sein wollen, sollen ihre Bude (Anm.: Golfplatz) ruhig dichtmachen. Aber Exklusivität ist überholt.“ Der Präsident des Deutschen Golf-Verbandes betreibt die Öffnung. Zumindest verbal. Volkssport wolle man werden. Die Zahlen sprechen für sich, sagt der Präsident. 1907, im Jahr seiner Gründung, zählte der Verband acht Clubs, 1985 schon 68.000 und acht Jahre später beinahe dreimal soviel. 185.000 Golfer, bei 70 Millionen Spielern weltweit nicht gerade umwerfend. Jeder 433. Deutsche spielt Golf. Jeder Siebte in Kanada. Dort ist das Spiel, in dem weltweit die Regeln des ältesten Golfclubs, des schottischen „Royal and Ancient Golf Club of St. Ancient“, von 1754 Gültigkeit haben, am populärsten. Richtiger Volkssport eben. Aber, behauptet Brügelmann, jeder achte Deutsche würde gerne Golf spielen. Wenn, ja wenn der Spaß nicht ganz so teuer wäre. Jan Brügelmann weiß selbst, daß der Durchschnittsmensch „Golf erst im Urlaub kennenlernt“. Andernorts ist Golf nämlich keine Sportart nur fürs pralle Portemonnaie. Zum Beispiel in Schottland, dem Ursprungsland. Da kann selbst eine Arbeiterstadt wie Glasgow 260 Golfplätze voweisen. Berlin-Brandenburg zählt gerade mal neun, und Bayern, das an Golfplätzen am reichsten gesegnete Bundesland, 94. Im Angelsächsischen ist Golf übers Jahr gerechnet günstiger als hierzulande die monatliche Mitgliedschaft in einem Fitneßstudio: 100 Mark.

In Deutschland hingegen gibt es gerade zwei öffentliche Anlagen: Düsseldorfer Hafen und Schloß Wilkendorf in Berlin. Alle anderen 378 Clubs finanzieren sich über Beiträge (finanziell) potenter Mitglieder. Das soll anders werden. Der Dachverband hat Gesellschaften gegründet zum alleinigen Zwecke der Popularisierung. Zum einen die Deutsche Gesellschaft für öffentliche Golfplätze, die „bei Bürgermeistern die Begeisterung fürs Golfen wecken soll“, so Brügelmann. Zum anderen den Verein clubfreier Golfer (VcG). Mit 430 Mark pro Jahr ist man dabei. Und kann im Idealfalle auch spielen. Vorausgesetzt allerdings, man besitzt die sogenannte „Platzreife“, kann Etikette-Kurse nach- und ein sportliches Niveau vorweisen, das den kostbaren Rasen nicht in Mitleidenschaft zieht. Dafür muß man in der Regel 120 Übungsstunden investieren, macht rund 5.000 Mark. Volkssport? Jan Brügelmann: „Nun ja, für den Arbeiter wohl nicht, aber doch für den Mittelstand.“ Aber nicht alle Golfclubs gewähren den VcG-Mitgliedern eine Spielberechtigung. Bisher nur 120 von 380.

Was Wunder, schließlich muß sich, wenn schon der Tennisplatz von den Massen erobert ist, der Geldadel ein sportliches Refugium bewahren. „Sportarten hängen eng mit der sozialen Schichtung zusammen“, bestätigt der Tübinger Sportsoziologe Constantin Seyfarth. Aber was seiner Beobachtung nach den Golfern in Deutschland das Leben vor allem schwermache, „ist der ideologische Kampf von seiten des Deutschen Sport-Bundes gegen alles, was nicht in Vereinen anzusiedeln ist.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen