: Kahlschlag am Clayoquot Sound
Seitdem die Provinzregierung von British Columbia die Abholzung von 350.000 Hektar Urwald genehmigte, kämpfen Kanadas Umweltschützer gegen Holzfäller-Gemeinden und Justiz ■ Aus Vancouver Jochen Vorfelder
Mit Morley Johnson ist schlecht Kirschen essen. 115 Kilo Lebendgewicht und Unterarme wie Ankertaue: Der Mann steht seit 17 Jahren in Diensten des kanadischen Holzkonzerns MacMillan Bloedel, kurz „MB“, und sägt am Tofino Creek, im Einschlagsgebiet Clayoquot Sound auf Vancouver Island, für 350 Mark am Tag einen Baum nach dem anderen ab. Dafür jongliert er mit einer brüllenden Motorsäge, deren Kettenblatt ihm bis Brusthöhe reicht. Umweltschützer stellen seine Arbeit an den Pranger. Morley Johnson will davon nichts hören: „Komm mir nicht mit Urwaldzerstörung oder so. Ich mache hier nur meinen Job und muß am Monatsende den Kredit bei der Bank abzahlen. Diese Blockierer und Hippies, das sind doch alles Spinner.“
Das sehen hier in der Gegend viele anders. Johnsons Gewerbe ist in Verruf gekommen, seit im April dieses Jahres die Provinzregierung von British Columbia 350.000 Hektar unberührte Naturwaldflächen am Clayoquot Sound zur Nutzfläche erklärt und damit zum Kahlschlag freigegeben hat. Von Regierungsseite nach stundenlangen Beratungen als „Kompromiß aller Beteiligten“ gefeiert, wird die Entscheidung von der Konzessionsfirma MB zähneknirschend akzeptiert. Unter der Hand ist freilich die Klage vom „Verlust wertvoller Nutzflächen“ zu hören. Die MB hatte auf die Genehmigung einer größeren Abholzfläche gehofft.
Greenpeace Kanada und die Bürgerbewegung „Friends of Clayoquot Sound“ haben erklärt, daß sie keine Ruhe geben wollen, bevor das Dekret nicht vom Tisch ist. „Wenn es durchgeht, sind 75 Prozent des Old Growth, also aller Naturstände im Sound, zur Zerstörung freigegeben“, sagt Karen Mahon im Greenpeace-Büro in Vancouver.
Zurück bleiben Sümpfe, und Windbruch
Die zierliche Aktivistin, die Morley Johnson kaum bis zur Schulter reichen würde, weiß, wovon sie redet: „Der Kahlschlag im Old Growth, und damit meine ich den Verlust von Bäumen, die an die tausend Jahre alt werden, ist tödlich für das komplexe System Borealer Regenwald“, doziert sie und flicht Zitate aus forstwirtschaftlichen Studien ein.
Was Logging in Kanada angeht, ist Karon eine wandelnde Datenbank. „Ich habe persönlich nichts gegen Morley und seine Leute. Aber wenn sie mit dem Wald fertig sind, bleibt außer Stümpfen, Windbruch und verschlammten Gebirgsbächen nichts zurück. Der Boden erodiert, und massive Erdrutsche sind an der Tagesordnung. Auch die Wiederaufforstung kann daran nichts ändern, sie schafft nur verarmte und uniforme Industrieforste. Ob man nach Nordamerika, nach Sibirien oder nach Skandinavien schaut, was da draußen abläuft, ist die generalstabsmäßige Vernichtung aus kurzfristigen Profitinteressen.“ Peter C. Newman, ein kanadischer Unternehmer, hat Karons Ansicht nach die passende Metapher für das Ausmaß der Zerstörung gefunden: „Man könnte dort einen Film über den Stellungskrieg in Verdun 1918 drehen.“
Laut der letzten Meinungsumfrage der Regionalzeitung The Province sind 40 Prozent der Bevölkerung dafür, daß MacMillan Bloedel am Clayoquot Sound einschlagen darf. 42 Prozent sind dagegen – doch die friedliche Statistik täuscht, vor Ort auf Vancouver Island hat der vermeintliche „Kompromiß“ tiefe Wunden gerissen. Die streitenden Parteien sind unversöhnlich, keiner spricht mit dem anderen.
Im prosperierenden Tofino (Motto: „The Capital of Whale Watching“), wo die Mehrzahl der Anwohner eine bewegte Vergangenheit als Anti-Vietnamkrieg- Aktivisten oder Kommunen-Mitglieder vorweisen können, haben die „Friends of Clayoquot Sound“ ihr Hauptquartier. Draußen balgen sich die Hunde, während drinnen neue Kampagnen vorbereitet werden. In der Vollkost- Bäckerei hängen Demo-Plakate am Schwarzen Brett, kaum ein Abend vergeht ohne hektischen Aktivisten-Treff. Jeder ankommende Tourist wird am Zeitungsladen in das Geheimnis der „linientreuen Autoantenne“ eingewiesen: orangefarbene Wimpel zieren den Umweltschützer, gelbe signalisieren den Logger.
Die Gemeinde Ucluelet ist gelb, gelb durch und durch. Nur 35 Kilometer von Tofino entfernt unterhält MacMillan Bloedel ein großes Zweigbüro. Ansonsten prägen Trailer-Parks, saubere Vorgärten und Satellitenschüsseln das Stadtbild. Am Abend trifft sich die Gemeinde in der Bierbar am Pooltisch. Morley Johnson mit seiner gelben Fahne am Pick-up ist hier unter Freunden; fast 700 Mann stehen bei MB in Lohn und Brot. Doch seit „Die da oben aus Hippietown, die aus Tofino“ so aktiv sind, ist die Stimmung gedämpft. Angst und Mißtrauen bestimmen die Atmosphäre.
„Wenn MB sich aus dem Old Growth am Sound zurückzieht, können wir hier alle einpacken und stempeln gehen“, sagt einer am Tresen und verfällt in dumpfes Grübeln. Dann taucht er kurzfristig wieder auf: „Aber das läßt Mike nicht zu.“
Der Held der Holzfäller von Ucluelet
Mike ist Mike Harcourt, Premier von British Columbia. Er ist der Held von ganz Ucluelet, seit er gegen die Umweltschützer schwere Geschütze auffahren läßt. Und so hat sich ein ritualisierter Konflikt im Morgengrauen entwickelt: Fast täglich seit dem 6. Juli wird an der Kennedy-River-Brücke, einem Nadelöhr bei der Einfahrt in die Einschlagsgebiete, demonstriert. Haben sich die Pick-ups und Holztransporter von MB den Menschenketten genähert, verliest ein Notar die einstweilige Verfügung, mit der sich MB den Zugang zum Sound erklagt hat. Wer nach dem Monolog weiter blockiert, wird von der Royal Canadian Mountain Police festgenommen – inzwischen ist die Zahl der vorübergehend Arretierten auf fast 750 angeschwollen.
Und auch die Provinzjustiz ist nicht zimperlich. Sie fordert von den Festgenommenen die schriftliche Erklärung, in Zukunft jede Protesthandlung gegen MB zu unterlassen. Wer die Unterschrift und damit die Anerkennung einer Ordnungswidrigkeit verweigert, wird automatisch zu einem „mutmaßlichen Straftäter“ und wandert hinter Gitter: Seit Mitte Juli etwa sind Betty Krawczyk und Judith Robinson inhaftiert. Die beiden Großmütter, eine 72, die andere 64 Jahre alt, kennen bereits mehrere Haftanstalten der Insel und haben den September in Einzelhaft in der Provinzhauptstadt Victoria verbracht, in Zellen unterhalb des Ausnüchterungstraktes.
Für Karen Mahon sind Krawczyk und Robinson zwei politische Gefangene: „Sie haben gegen die Kahlschläge demonstriert und werden nun wie Geiseln gehalten. Ihre Haftbedingungen sind die von Schwerstverbrechern. An ihrem ersten Verhandlungstag hat die Staatsanwaltschaft erwogen, sie in Fußfesseln vorzuführen.“
Mahon beschuldigt Mike Harcourt, Wachs in den Händen von MacMillan Bloedel zu sein. Der Holzkonzern ist mit Abstand die umsatzstärkste Firma und zweitgrößter Arbeitgeber in der Provinz. Im April des Jahres wurde ein Untersuchungsrichter am Obersten Gerichtshof beauftragt, eine mögliche Interessenverquickung zwischen MB und der Regierung zu klären. Anlaß: Just zwei Wochen nach dem grünen Licht in Sachen Clayoquot Sound hatte die Regierung ein MB-Aktienpaket im Wert von 50 Millionen Dollar (etwa 5 Prozent des Aktienkapitals) erworben und ist jetzt größter Einzelaktionär.
Das riecht streng nach Inside Trading. Daß die Staatsanwaltschaft – auf Weisung der Provinzregierung und nach kräftigem Lobbying der Holzindustrie – ein Exempel statuieren soll, vermutet auch die konservative Tageszeitung Vancouver Sun. Deren Kolumnist Stephen Hume, ansonsten kein ausgewiesener Freund der Umweltschützer, schrieb am 3. September: „Die Provinzregierung hat beschlossen, diesen Widerstand rechtlich in eine Reihe mit Bankraub, Kindesmißhandlung und Drogenschmuggel zu stellen.“
Verhandlungen im Königlichen Museum
Um der Flut von anhängigen Verfahren noch Herr zu werden, hat die Justiz inzwischen ein Ausweichquartier bezogen: Um über die 200 Demonstranten zu verhandeln, die auf einen Schlag am Morgen des 9. August verhaftet wurden, wurde extra das Newcombe- Auditorium des Königlichen Museums in Victoria angemietet.
Bei so viel Aufwand reagiert die Justiz sehr penibel, wenn es um die Anwesenheit der Beklagten im Saale geht. Wer zu spät kommt oder einen Verhandlungstag schwänzen will, wird vorgeführt: Als etwa der 18jährige Andrew Swain dem Vorsitzenden Richter erklärt, er fühle sich angesichts zweier erfahrener Ankläger hilflos und gehe am nächsten Verhandlungstag lieber wieder zur High- School als vor Gericht, warteten am 9. September zwei Streifenwagen vor dem Haus seiner Eltern. Die Beamten brachten ihn für 48 Stunden in Erzwingungshaft. Begründung: sträfliche Mißachtung des ehrenwerten Gerichts.
Die ersten Urteile sind bereits gefällt. Am 14. Oktober etwa wurden 44 Blockierer zu Haftstrafen bis zu zwei Monaten verurteilt, was der Vater von Andrew Swain mit den Worten quittierte: „Das sind Zustände wie unter den Militärs in Guatemala.“
Damit kommt er bei Morley Johnson gerade an den Rechten: „Bullshit, geschieht denen doch recht. Wenn jemand auf sein Recht auf zivilen Ungehorsam pochen will, muß er auch die Folgen tragen.“ Das ganze Theater ist im zuwider. Er ist verbittert. Was soll schlecht daran sein, wenn er das macht, was anständige Kanadier immer gemacht haben? Das Gerede von nachhaltiger Waldnutzung oder gar Bürgerrechten geht ihm auf den Geist. Er meint – wie auch sein Vater und sein Großvater vor ihm – tagtäglich auf dem Boden der Tatsachen zu stehen: mittendrin im Dickicht. Im heißen Sommer kämpft er mit den Schwärmen von Pferdefliegen, im feuchten Winter mit der Gicht, die ihm ins Kreuz kriecht.
So soll es bleiben. Morley Johnson ist der letzte in der langen Reihe von Pionieren, die Kanada zu dem gemacht haben, was es heute ist: eine Gesellschaft, die seit zwei Jahrhunderten ihre Identität „im Ringen mit der Wildnis“ gefunden hat. Der Wald ist sein Feind. „Wir helfen der Natur doch nur nach“, nickt er überzeugt, spuckt in die Hände und säbelt zornig eine Rote Zeder ab. Der Baum war schon uralt, als Kanada noch ein weißer Fleck auf der Landkarte war.
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