: Kein Vorbeimarsch im Stechschritt
Kollwitz-Erben dulden kein militärisches Zeremoniell in der Neuen Wache / Außerhalb „übliches diplomatisches Protokoll“ möglich / Bundeswehr gibt sich unkriegerisch ■ Von Rolf Lautenschläger
Die schriftliche Verabredung zwischen den Kollwitz-Erben und dem Bonner Bundeskanzleramt, daß ein „wie auch immer geartetes militärisches Zeremoniell vor der Neuen Wache zu bestimmten Anlässen“ zu einer möglichen „Entfernung“ der aufgeblasenen Pietà führen könnte, enthält Kleingedrucktes mit Interpretationsspielraum. In der Vergangenheit hatten die Nachfahren der Berliner Künstlerin, deren Miniatur „Mutter mit totem Sohn“ in zwanzigfach vergrößerter Form ab November 1993 die Neue Wache zieren wird, gedroht, die Plastik entfernen zu lassen, würde deren pazifistischer Charakter konterkariert. Zwar bestätigte der Enkel der Bildhauerin, Arne Kollwitz, die Entscheidung der Erbengemeinschaft, in der Gedenkstätte keine militärischen Aufzüge zu dulden. Außerhalb des Schinkel-Baus aber soll das „übliche diplomatische Protokoll“ – beispielsweise bei Begrüßungen oder Ehrungen von Staatsgästen – „nicht umgestoßen werden“.
Ebenso vorstellbar seien Kranzniederlegungen zum Gedenken von Toten, sie verstießen keineswegs gegen die getroffene Regelung zwischen dem Bund und den Erben, sagte Kollwitz. In diesen Funktionen repräsentierten die Angehörigen der Bundeswehr „einen demokratischen Staat“. Allerdings, räumte Kollwitz ein, könne bei einem soldatisch gefärbten Zeremoniell, das von der jetzigen Form abweiche oder dieses „verschärft“, nicht weiter von den vereinbarten Abstimmungen ausgegangen werden. „Dann wären Konsequenzen vorgesehen.“ Welche, ließ der Berliner Mediziner offen.
Ganz unkriegerisch zum Thema gibt sich die Bundeswehr selbst. Im Unterschied zum Aufmarschspektakel der Volksarmee der DDR benutze die Bundeswehr die Neue Wache nicht als militärische Einrichtung, sagte Oberst Frytag von der Presseabteilung der Streitkräfte. Ein militärisches Zeremoniell im klassischen Sinne, etwa ein Vorbeimarsch im Stechschritt, sei bei den Soldaten nicht mehr vorgesehen. Die Bundeswehr trete zu „Würdigungen“ nur an „und steht“. Zudem sei eine Kranzniederlegung zu Beileidsbekundungen vor der Neuen Wache „kein eigentlich militärisches Zeremoniell“, sondern eine Assistenz eines zivilen Akts.
„Ehrenposten“ vor der Gedenkstätte erfüllten für Frytag nicht den Tatbestand des militärischen Zeremoniells. Dennoch müsse darüber die „Politik“ nachdenken. In Bonn gibt man sich diplomatisch: Aufgrund der Tatsache, daß in Berlin noch keine militärischen Zeremonien stattfänden – sondern in Bonn –, habe man die „Frage Neue Wache“ noch nicht endgültig erörtert, sagte Dirk Ackermann, Abteilungsleiter im Bundeskanzleramt gegenüber der taz. Fest stehe nur, daß die Einweihung der Zentralen Gedenkstätte der Bundesrepublik am 14. November ohne militärisches Tamtam und ohne Ansprachen begangen werde. Auch für die Zukunft sei keine „militärische Wache“ vor dem Häuschen geplant.
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