: Rote Phobie im grünen Urwald
■ Hamburgs Sozialdemokraten kommen mit der grünen Vorherrschaft in ihrem sozialen Umfeld immer weniger zurecht Von Florian Marten
Wenn Bürgermeister Henning Voscherau, 52 mal wieder mit Gleichaltrigen spielen darf, zum Beispiel bei Stehempfängen der Hamburger Wirtschaftsgrufties aus den obersten Vorstandsetagen, dann kann er endlich tief durchatmen. Keine Vorherrschaft grüner Schlingpflanzen! Hier ist die Generation der Wirtschaftswunderlinge noch unter sich! Alles brave Männer mit soliden Ansichten!
Wenn der Senatsyoungster und SPD-Rechtsausleger Dr.Thomas Mirow mal wieder im Literaturhaus auf einer Medienparty feingeistelt, dann überfällt ihn manchmal das Gefühl, er sei ein einsamer weißer Forscher im wilden grünen Afrika: Einsamer Sozi unter angegrünten Schicki-Mickis. Wenn Altonas SPD-Häuptling Walter Zuckerer morgens im lieblichen Dorf Ottensen gepflegten Rotwein und Brötchen shoppt, dann ist die langjährige SPD-Nachwuchshoffnung, soziokulturell gesehen, auf einsamer Pirsch durch eine monokulturelle Wüste: Sozihassende Punks, arbeitslose Jugendliche mit Grünfaible, grüne VerkäuferInnen, grüne Rechtsanwälte, Lehrer, Kulturschaffende, Studenten ....
JedeR dritte Hamburger WählerIn im trendbestimmenden Alter zwischen 18 und 45 hat am 19. September 1993 grün gewählt. Berücksichtigt man Ausbildung und Einkommen, dürfte der grüne Wahlerfolg bei Menschen mit Hochschulabschluß und fünfstelligem Haspa-Dispo sogar bei fast 50 Prozent liegen.
Die wohlstandssatten Mountain-Biker aus
Blankenese
Nein, es geht nicht um ein paar wohlstandssatte Mountain-Biker mit Villa in Blankenese – die ganze aktive Generation der 10 bis 45jährigen, Lieblingssegment der Bevölkerungspyramide nicht nur von Personalchefs und Werbeagenturen, ist satt durchgrünt.
Die CDU hat sich hier mit 15 Prozent auf FDP-Niveau verabschiedet und selbst jene mehr als 30 Prozent der Jungdynamos, die ihr Kreuzchen bei der SPD machten, sind mit deutlicher Mehrheit auf Rot-Grün-Kurs. Die SPD reagiert auf diesen Umbruch in der politischen Stimmungslage verzweifelt – und mit aktivem Entsetzen. Schon sieht Voscherau seine Spitzenfunktionäre von ihrer Basis und ihrem sozialen Milieu „erpreßt“. Linke Sozis können dafür das mitleidige Lächeln aufgeklärter ZeitgenossInnen schon nicht mehr ertragen, das ihnen signalisiert: So, bei denen macht ihr immer noch mit? Schämt ihr Euch denn nicht? Andere Genossen suchen Zuflucht bei komplizierten Verschwörungstheorien: Alle Grüne seien ja eigentlich Sozialdemokraten. Nur weil der stockkonservative letzte SPD-Kanzler Helmut Schmidt eine ganze junge Generation vergrault habe, seien die Grünen überhaupt entstanden. Sorry – wieviele Generationen wird Voscherau wohl jetzt zu den Grünen treiben?
Die Rechtsdrift der Jusos, nicht nur in Hamburg, spiegelt diese Entwicklung noch einmal wieder: Welcher normale Mensch unter 35 tut sich denn noch eine aktive SPD-Mitgliedschaft an, es sei denn, er wolle auf seiner Multiple-Choice-Karriere-Planung das Fenster Politik vorsichtshalber offen halten. Umgekehrt: Wer Kontakt mit der aktiven zweiten und dritten Managerebene der Hamburger Wirtschaft hat oder sich mit den (wenigen) dynamischen Kreativlingen in Hamburgs Behörden unterhält, Menschen also, zu denen Voscherau fast nie Kontakt hat, muß feststellen, daß sich hier ein radikaler Generationswechsel vollzogen hat, den die vermiefte Springerpresse, die hausbackende Mopo oder die bürokratische Funkanstalt NDR noch immer nicht recht registriert haben. Die heutige Generation von Hamburgs MacherInnen hält wenig von Politik, fast nix von der SPD, findet die Grünen, bei aller Vorsicht, durchaus sympathisch und denkt in Kategorien, die man im Senatsgehege meist vergebens sucht: Kooperatives Management, Konzeptdenke, Projekt- und Prozeßorientierung, vernetztes Arbeiten ....
Trotzreaktionen auf der Suche nach der Stammwählerschaft
Die aktuelle Krise der SPD hat viel mit dem Verlust jener Klientel zu tun, die Willy Brandt einst noch in den roten Tanker integrieren konnte. Mit Wählerbeschimpfung, Parteibeschimpfung und Trotzreaktionen oder gar dem Back-to-the-roots auf der Suche nach einer nicht mehr vorhandenen Rentner- und Arbeiterstammwählerschaft ist diese Krise, klügere Sozis wissen das längst, nicht zu bewältigen. Erneuerung, Mitarbeiter und Funktionärsschulung, die Hinzuziehung externen Sachverstands wäre notwendig – selbst mittelständische Unternehmen haben, sofern sie sich erfolgreich in schwierigen Märkten tummeln, die Erneuerung ihrer Strukturen inzwischen erheblich weiter getrieben, als die kühnsten Träume Hamburger Reformsozis es ihrer Partei zuzumuten wagen.
Selbst wenn die SPD eines Tages ihre Krise ernsthaft anpackt, die „Hamburg Partei“ wird sie nie wieder sein. Das rote Hamburg ist tot. Nein, Walter Zuckerer wird es nie erleben, daß er beim Brötchenkauf durch ein Gasse ehrerbietiger Grüße von schwieligen Fäusten mit Elbsegler schreitet, Dr.Thomas Mirow muß sich die Träume versagen, einst als roter Medienmogul von einer treu durchgefärbten Anhängerschar als einer der ihren gefeiert zu werden. Und Henning Voscherau? Er hat es besser, muß freilich noch ein wenig warten: In den Hamburger Altenheimen liegen SPD und CDU soziokulturell vorerst uneinholbar vorn.
Wie sinnig, daß sich seine Wandsbek-Connection so gern im Altenwohnheim Nordlandstraße trifft.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen