: Die widerspenstige Mutter
Das THEA-Frauentheater zeigt „Schnee“ im wiedereröffneten Potsdamer Waldschloß ■ Von Anna-Bianca Krause
Die karg ausgestattete und spärlich beleuchtete Bühne im neu renovierten Theatersaal des Waldschlosses wirkt irreal – ein Stahltisch, wenige Stühle, ein Spiegel, eine Kommode, auf einem Sockel ein Telefon. Der Apparat, Fetisch und gleichzeitig einzige Verbindung nach draußen, zur Welt der Richter, Staatsanwälte, Therapeuten und Polizisten. Eine Frau, die Schauspielerin Theresia Wider, monologisiert, spricht von ihrer Wut, ihrer Ohnmacht, den Erniedrigungen, die sie erlebt, während sie versucht, ihren neunzehnjährigen, heroinabhängigen Sohn aus der U-Haft freizubekommen. „Männer, das Recht, die Parlamente. Die Männer, die Psychiater, die Psychologen. Die Schuld hergekippt, hingekippt. Ganze Container von Schuld. Die Psychologen rechnen ab mit ihren Müttern, mit ihren Frauen. Frauenhaß?“
Der nuancierte Monolog, ein Dialog mit unsichtbaren Gegnern, ist die deutsche Uraufführung des Stückes „Schnee“ der österreichischen Autorin und Dramaturgin Elisabeth Wäger und weit mehr, als die mit Gefühlen angefüllte Leidensgeschichte einer Mutter- Sohn-Beziehung. Theresia Wider läuft Sturm gegen angemaßte Autoritäten, verzweifelt am Plauderton des Anwalts und rast bei der Vorstellung, daß die großen Fische im Drogenteich straffrei bleiben. Unzählige kleine Zettel zieht sie aus den Taschen ihres Kleides, Botschaften aus schlaflosen Nächten, die von Liebe sprechen, von Versagen und Sehnsucht. Die innere Spannung dieser gealterten Frau, die sich – wahrscheinlich erstmalig in ihrem Leben – gegen vorgefertigte Rollen und bestehende Gesetze zur Wehr setzt, ihre Erinnerungen und Reflexionen, wirken nie künstlich, nie theatralisch.
Sparsam akzentuiert, von Soundcollagen voller Stimmen und einzelnen Tönen, hat Regisseurin Irene Neuner mit dem Brandenburger THEA-Frauentheater eine Tragödie in fünf Bildern auf die Bühne gebracht, die im aktuellen Deutschland viel Brisanz hat. „Wo viel Ohnmacht erlebt wird, viel persönliche Schwäche, sinkt der Selbstwert – was aber als Versagen des einzelnen deklariert wird, ist oft genug ein Versagen der Gesellschaft. Die Figur der Mutter, die am dichtesten an den zukünftigen Erwachsenen dran ist, spielt dabei eine besondere Rolle“, sagt die ehemalige Choreographin und Schauspielerin, die das Stück anläßlich seiner Uraufführung zu den Wiener Festwochen 1993 entdeckt hat.
Mit „Schnee“ fand die erste Theaterpremiere im wiedereröffneten Potsdamer Waldschloß statt, die Proben waren begleitet von Bauarbeiten verschiedensten Lärmniveaus. Das 100 Jahre alte Haus, das sich zu einem Kunst- und Medienzentrum entwickeln soll, liegt direkt gegenüber dem Defa- Gelände in Babelsberg und gehört zum Lindenpark e.V., einem soziokulturellen Verein für Jugend und Freizeit. Bevor es am 1. Februar 1993 in einem völlig desolaten Zustand übernommen wurde, stand es zwei Jahre leer. Balken hingen von der Decke, weder Heizung noch Elektrik funktionierten, der Stuck im sogenannten Festsaal konnte nur noch erahnt werden.
Zu Ufa-Zeiten war das Waldschloß Vergnügungsstätte der Ufa- Arbeiterschaft, Beleuchter und Kulissenschieber schwoften dort oder trafen sich im Gartenlokal, während die bessere Filmgesellschaft, die Regisseure und Schauspieler, nebenan im Lindenpark ihre Premierenbälle veranstaltete. Zu DDR-Zeiten mutierte das romantische Bauwerk dann zum Defa-Keglerheim, einer Kultur- und Sportstätte, wo betriebsgemeinschaftsweise der Feierabend verbracht wurde.
Neben dem THEA-Frauentheater, das ein brandenburgisches ABM-Projekt für Schauspielerinnen, Regisseurinnen und andere Bühnenschaffende ist, und dem Jugend- und Kindertheater Haverie, die beide bereits ihren Sitz im Haus haben, wird die Medienakademie Babelsberg hier ein Bildungszentrum einrichten. Doch bislang ist nur der Stucksaal zu benutzen, die ehemaligen Kegelbahnen sind noch tote Räume und harren ihrer Wiederbelebung. Einzige Ausnahme ist das holzgetäfelte Lokal, das mit Hilfe des ORB zur ersten „Fritz!“-Kneipe in Brandenburg wurde und deshalb viele Jugendliche aus der Umgebung anzieht. Neben den eigenen Produktionen werden aber bereits zahlreiche Gastspiele veranstaltet, freie Gruppen aus Musik, Kabarett, Varieté und Theater eingeladen sowie Filme gezeigt.
„Ich finde es schön, daß sich die Film- und Theatertradition dieses Hauses seit 100 Jahren gehalten hat, das Flair liegt noch in der Luft“, sagt Monika Keilholz, Geschäftsführerin und Vorstandsvorsitzende des Lindenparks, und freut sich besonders über die günstige Lage. Berlin ist nah, das Studentendorf nicht ganz 100 Meter Luftlinie entfernt, und Filmhochschule und ORB werden die zukünftigen Nachbarn sein.
„Schnee“: Heute, morgen und vom 4.–6.11. jeweils um 20 Uhr im Waldschloß, Stahnsdorfer Straße 100 in Potsdam/Babelsberg, Nähe S-Bahnhof Griebnitzsee.
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