: Mit harten Bandagen gegen die sanfte Droge
■ Lehrer überwand Alkoholsucht mit Hilfe von Haschisch Nach Selbstanzeige in U-Haft / Richter verhängt Auflagen
Das Amtsgericht Moabit hat gestern anschaulich demonstriert, was einem Angeklagten in Berlin widerfährt, der sich aus freien Stücken zum langjährigen Konsum von Haschisch bekennt: Er muß sich psychiatrisch begutachten lassen, ob er in eine Entziehungsanstalt eingewiesen wird.
Die Entscheidung erging gegen einen 51jährigen ehemaligen Lehrer, der nach einer Selbstanzeige bei der Staatsanwaltschaft sechs Monate in Untersuchungshaft gesessen hatte. Seinen Haschischkonsum hatte er offenbart, weil er sich berechtigt fühlt, die sanfte Droge als Medikament gegen seine Alkoholsucht einzusetzen. Sein Verteidiger forderte gestern die Aussetzung des Verfahrens, um den Fall dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen. Vorbild ist die Entscheidung des Lübecker Landgerichts unter Vorsitz von Wolfgang Neskovic, der im Dezember 1991 das höchste Gericht aufgefordert hatte, die Verfassungswidrigkeit des Cannabisverbots zu überprüfen. Mittlerweile haben 14 Richter aus Städten wie Frankfurt, Osnabrück und Hildesheim mit einer ähnlichen Beschlußvorlage beim Verfassungsgericht nachgezogen.
Nur die Großstadt Berlin steht abseits. Amstrichter Klaus-Peter Jürcke wies den Antrag des Angeklagten Friedolin Sch. gestern zurück: Es bestehe keine Verlassung zu einer Aussetzung des Verfahrens. Die Abwehr der Gefahr für Kinder und Jugendliche sei höher zu bewerten als das Recht des Angeklagten auf Konsum.
Der hochgewachsene, gepflegt aussehende Mann trug plausible Gründe für sein Handeln vor: Er sei seit seinem Studium alkoholabhängig, aber seit nunmehr sieben Jahren trocken, sagte er. Gelungen sei ihm dies unter anderem mit Hilfe einer Therapie und – „das ist ganz wesentlich“ – durch Haschisch. „Wenn Alkohol der Teufel ist, dann ist Haschisch vom lieben Gott.“ Er konsumiere im Monat konstant bis zu 100 Gramm und besorge sich die Droge selbst in Amsterdam, weil er keine Lust habe, geldgierige Dealer zu unterstützen. Nach einer ersten Verurteilung in Nürnberg wegen Besitzes von Haschisch habe er versucht, beim Bundesgesundheitsamt eine Ausnahmegenehmigung für den Drogenkosum zu bekommen. Als dies nichts fruchtete, entschloß er sich zur Selbstanzeige.
Mit unbewegter Miene nahmen der Richter und die Schöffen zur Kenntnis, daß Friedolin Sch. die Legalisierung von Haschisch forderte und für eine Trennung der Drogenmärkte wie in Holland eintrat. Dies soll verhindern, daß Kiffer in die Illegalität gedrängt werden und Heroin angeboten bekommen. Weil bei ihm nach der Selbstanzeige über ein Kilo Haschisch gefunden worden war und er zugegeben hatte, in den letzten Jahre mehrere Kilo aus Holland für sich und Freunde geholt zu haben, hatte Friedolin Sch. ein halbes Jahr in U-Haft gesessen. Gegen Kaution kam er frei. Sein offenes Eingeständnis, nach der Haftentlassung nochmals im Amsterdam gewesen zu sein und weiter „zu haschen“, belohnte Richter Jürcke gestern mit einer harten Auflage: Bis zum neuen Prozeß im kommenden Jahr muß sich Florian Sch. fortan täglich bei der Polizei melden. Kommentar des Lübecker Richters Neskovic: Das Verhalten des Berliner Kollegen „tut mir weh“. Plutonia Plarre
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen