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Mangel und wohlgefüllte private Geschäfte

■ Milliarda Dinar oder Demarka: Ein Besuch in Serbien trotz Wirtschaftsembargo

Beschließt der Berliner Durchschnittsmensch, zu einem Besuch nach Jugoslawien aufzubrechen, so behindert ihn nicht nur der Wirtschaftsboykott, sondern es schlägt ihm auch von allen Seiten schweres Unverständnis entgegen. Der Wunsch, an den Nordpol zu reisen, wird freundlich toleriert, aber nach Serbien... Das erste Indiz findet sich in der jugoslawischen Botschaft, Außenstelle Dahlem: Ohne schriftliche Einladung ist ein Spezialstempel fällig, 75 Demarka. Fürs Visum noch mal 37 Demarka. Der Krieg ist nicht billig.

Die Fahrt soll mangels öffentlichen Transports mit dem Auto erfolgen, also Kanister gegen Embargomangel an Sprit besorgen und los. Über Prag, Budapest, Belgrad; durch Grenzkontrollen, die es vor kurzer Zeit noch nicht gegeben hat. Die Kontrolle zwischen Tschechischer Republik und Slowakien findet zum Beispiel in einer ehemaligen Autobahnraststätte statt. Alles überstanden bis zur Ausreise von Ungarn nach Restjugoslawien, die Ungarn als Hüter des Embargos wollen unseren Kanister nicht durchlassen. Es geht vielen so, die meisten Kanisterbesitzer verkaufen den Inhalt deshalb an Ausreisende aus Serbien. Meine Begleiterin ist charmanter. Weiter mit vollem Kanister. Nächstes Indiz des Krieges: die Autoversicherung, weltweit gültig, gilt hier nicht. Also 120 Demarka Prämie für zwei Wochen. Nicht zu vergessen 50 Demarka Straßenbenutzungsgebühr, für die unvergeßliche Schlaglöcher geboten werden.

Weiter nach Belgrad und aufs Land, es ist, abgesehen von gelegentlichen Milizkontrollen auf freier Strecke, der friedlichste Fleck der Erde. Der Spritmangel hat den Autoverkehr fast zum Erliegen gebracht, dafür bestimmen Pferdefuhrwerke das Bild. Autohasser hätten ihre Freude, wären da nicht die riesigen Trauben Wartender an den Bushaltestellen. Die Ankunft in Sopot, einer Kleinstadt in der Nähe von Belgrad, wird interessiert registriert, es gibt keinen Tourismus mehr, also auch fast keine Fremden. Sofort fällt ins Auge, daß zwei verschiedene Welten existieren: wohlgefüllte private Geschäfte stehen neben leergefegten staatlichen, Pferdewagen neben Mercedes 600 SEC, Milliarden Dinar neben Demarka.

Die rasende Inflation (10 DM entsprachen am 4.10.93 etwa 25 Milliarden Dinar, am 18.10. waren es schon 170 Milliarden) führt zu zwei scharf getrennten Wirtschaftssystemen, wer am DM-System beteiligt ist, kann phantastische Gewinne erzielen. Die anderen erhalten Löhne zwischen 30 DM und 200 DM, die Renten schwanken zwischen 2 DM und 20 DM. Im Monat! Entweder man betreibt Schwarzgeschäfte, oder man sollte einen Garten hinterm Haus haben. Überleben ist mit diesen Zahlungen unmöglich. Arbeitnehmer, deren Betrieb noch funktioniert, erhalten allerdings Lebensmittel gestellt. Das Ganze wird von den Betroffenen mit An-die-Stirn- Tippen kommentiert, von fast allen aber für ein vorübergehendes Phänomen gehalten. Die Lösung spaltet die Bevölkerung: einige sehen das Heil in sozialdemokratischen Reformen, andere wollen den König wiederhaben. Im Moment regiert die lokale Mafia.

Das Ansehen der Mafiosi steigt vor allem bei Jugendlichen rapide an, schließlich stellen sie im Moment den einzig florierenden Wirtschaftszweig. Im Gespräch mit Belgrader Kids wird klar, daß man als Outfit die brutale Variante zu wählen habe, denn gefährlich aussehen heißt Demarka besitzen. Tonio Maier

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