Verdrängungsprozeß

Diskriminiert die Bundesanstalt für Arbeit Nicht-EG-Ausländer? Ungefähr 300.000 ausländische Arbeitnehmer von BfA-Erlaß betroffen  ■ Von Peter List

Eine Dienstanweisung und eine Anordnung der Bundesanstalt für Arbeit vom Frühjahr 1993 haben vor allem bei Ausländerorganisationen beträchtlichen Ärger hervorgerufen. In der Dienstanweisung vom 5. März 1993 sollen Deutsche, EG-Angehörige oder ausländische Arbeitnehmer mit besonderer Arbeitserlaubnis (Voraussetzung: fünf Jahre ununterbrochener Arbeitsnachweis) „bevorrechtigt“ vermittelt werden. Ähnlich verhält es sich mit der Anordnung vom 29.4.1993, durch die AusländerInnen mit befristeter Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis von Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen ausgeschlossen werden können. Deutsche, EG- Angehörige und Ausländer im Besitz einer besonderen Arbeitserlaubnis können sich hingegen wie bisher (mit einem dreijährigen Arbeitslosenversicherungsnachweis) fortbilden.

Leidtragende sind nun in erster Linie Männer und Frauen aus nicht EG-Ländern mit jeweils befristeter Arbeitserlaubnis. Ginge es also nach dem Willen von Bundesarbeitsminister Blüm, so müssen all jene bei einer Bewerbung um eine offene Stelle erst einmal abwarten, ob sich nicht „ein Bevorrechtigter“ findet. Handelt es sich um Fortsetzung eines schon bestehenden Arbeitsverhältnisses, so muß der Arbeitgeber vor Ablauf der Arbeitserlaubnis innerhalb von sechs Wochen prüfen lassen, ob nicht für diesen Arbeitsplatz ein „bevorrechtigter Arbeitnehmer“ in Frage kommt. Dabei müssen die Personalchefs neben einer „ortsüblichen und tarifgerechten Entlohnung“ nachweisen, daß sie einen Vermittlungsvorschlag für einen bevorrechtigten Bewerber angenommen haben. Lehnt der Arbeitgeber die Erteilung eines Vermittlungsauftrages ab, so bekommt er für seinen noch beschäftigten Arbeitnehmer keine Verlängerung der Arbeitserlaubnis. Damit steht der/die Beschäftigte auf der Straße, weil er/sie entweder die falsche Nationalität oder nicht lange genug in der Bundesrepublik gearbeitet hat.

In erster Linie trifft die Anweisung aus dem Hause Blüm ausländische Arbeiter und Angestellte in Nischenberufen, in denen ohnehin kaum deutsche ArbeitnehmerInnen tätig sind. Es sind dies vor allem metall- und holzverarbeitende sowie chemieproduzierende Betriebe, das Baugewerbe, Hotels und Gaststätten, aber auch traditionell handwerkliche Berufszweige wie Maler, Drucker usw. Ganz besonders hart sind international operierende Firmen und Saisongeschäfte aller Art davon betroffen.

Der Staatssekretär des hessischen Arbeitsministeriums, H. Glaser, spricht deshalb von einer „kontraproduktiven Maßnahme“. Zirka hundert Organisationen, Verbände, kirchliche Träger und Repräsentanten hessischer Institutionen haben in einer Resolution gegen die Anordnungen protestiert und die Bundesanstalt für Arbeit (BfA) zur Zurücknahme dieses diskriminierenden Papiers aufgefordert. Auch die Industrie- und Handelskammer (IHK) dringt auf eine Verkürzung der bis zu sechs Wochen dauernden Prüffrist. „Nicht nur die typischen Branchen“ seien gezwungen, auf ihre Angestellten zu warten, sondern beispielsweise auch „eine japanische Bank, die einen Geschäftsführer aus dem Mutterhaus beschäftigen will“, so der Geschäftsführer der IHK Frankfurt, A. Heilmann.

Selbst die regierungstreue Bild- Zeitung regt sich in einem Leitkommentar darüber auf, daß „der Kohl in Dithmarschen verfault, weil fleißige Polen nicht kommen dürfen“. Diese fast symbolisch anmutende Klage des Massenblatts wird begleitet von einem Protestschrei der Saisonbranchen, die nun ernsthaft um die Wein-, Obst-, Erdbeeren-, Spargelernte fürchten müssen, da diese weitgehend von billigen Arbeitskräften aus Osteuropa abhängig sind. So zeichnet sich eine Zweiklassengesellschaft von Ausländern in der BRD ab: diejenigen, für die das EG-Recht gilt, und diejenigen, die dem Ausländerrecht unterliegen.

Ein Antony Yeboah von Eintracht Frankfurt wird wohl kaum fürchten müssen, daß er die Verlängerung seiner Arbeitserlaubnis nicht erhält, weil ein arbeitsloser deutscher Mittelstürmer seinen Platz einnehmen könnte. Genauso wenig wie Yehudi Menuhin seine Konzerte mit den Berliner Philharmonikern absagen müßte, weil ein EG-Geiger an seiner Stelle spielen könnte. Aber was ist mit dem türkischen Gemüsehändler, wenn er seinen türkischen Nachbarn als Verkäufer einstellen will? Was ist mit dem Koch in dem chinesischen Restaurant, wenn seine Arbeitserlaubnis abgelaufen ist? Muß der Restaurantbesitzer jetzt die Kochkünste deutscher Aspiranten unter die Lupe nehmen? Muß Delta Air Lines seinen amerikanischen Stewardessen kündigen, weil es auf deutschem Boden genügend arbeitslose EG-Stewardessen gibt?

Der türkische Drucker Y.H. und sein potentieller Arbeitgeber mußten bei seiner Bewerbung um eine freie Stelle bei einer türkischen Druckerei in Neu-Isenburg tatenlos zusehen, wie das Arbeitsamt ihnen „bevorrechtigte“ Bewerber vor die Nase setzte. Y.H.s Ängste, ohne Arbeit seine Familie nicht ausreichend ernähren zu können und auf Sozialhilfe angewiesen zu sein – und somit deutschen Behörden den Grund für eine Abschiebung zu liefern –, sind real. Das Arbeitsamt hat sogar die in den letzten Jahren praktizierte Liberalisierung des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG), nach der Asylbewerber arbeiten durften, mit sofortiger Wirkung aufgehoben. Diese dramatischen Einschnitte in die offizielle Arbeitsmarktpolitik können nicht nur das Leben vieler ausländischer ArbeitnehmerInnen ruinieren (das italienische Berufsbildungswerk schätzt die Zahl der unmittelbar und mittelbar Betroffenen auf 300.000), sie stellen auch einen bedrohlichen Eingriff in das über Jahre hart erkämpfte Arbeitsvertragsrecht dar. Bisher handelten Arbeitgeber und Arbeitnehmer allein die Dauer des geplanten Arbeitsverhältnisses aus. Die „neue“ Verordnung vom 5.3. sieht jedoch vor, die Arbeitserlaubnis jeweils nur für ein Jahr zu verlängern. Die Folgen sind für die beiden Seiten – Arbeitgeber und Arbeitnehmer – unangenehm. Der lohnabhängige Vertragspartner sieht sich mit dieser Fristsetzung einer fortwährenden Probezeit ausgesetzt. Aus dem Blickwinkel des einstellenden Unternehmers sieht die Sache deshalb schwierig aus, weil er zum einen nicht mehr uneingeschränkt unter den möglichen Bewerbern den besten auswählen kann – der ist ja unter Umständen nicht im Besitz des richtigen Passes. Zum anderen muß er auf eine bewährte Arbeitskraft verzichten, wenn das Arbeitsamt die Verlängerung der Arbeitserlaubnis versagt. Und er muß sich darauf gefaßt machen, jedes Jahr den Papierkrieg, der mit der Antragstellung für eine Arbeitserlaubnis und der oben erwähnten sechswöchigen Prüffrist verbunden ist, von neuem durchzustehen.

Die Arbeitgeberverbände haben im März durch ihren Verwaltungsrat in der BfA zu Nürnberg für die Umsetzung dieser Verordnung gestimmt. Einzige Gegenstimme dieses öffentlich-rechtlichen Gremiums, das sich drittelparitätisch aus Vertretern der Arbeitnehmer, Gewerkschaften, Arbeitgeber, des Bundes, der Länder und Gemeinden zusammensetzt, war die Stimme des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Es ist nur eine Frage der Zeit, wie sich diese staatlich verordnete Diskriminierung auf das Interesse ausländischer Investoren und Großbetriebe niederschlagen wird – gerade nach Rostock, Mölln, Solingen und möglicherweise zuletzt Bad Wildungen.

Zu Dokumentationszwecken suchen Ausländerbeiräte und das italienische Berufsbildungswerk noch weitere Fälle, die unter diese Anordnung fallen. Bitte an folgende Adresse schicken:

Enaip – Wiesbaden, Rudolf- Dyckerhoff-Straße 3, 65203 Wiesbaden-Biebrich, Stichwort: BfA- Anordnung