piwik no script img

Eklektizismus ist unvermeidlich

Aber ökologisches Bewußtsein und neue Bescheidenheit sind heute im Design gefordert. Die „1. Hamburger Design-Kreuzzüge“ und das Jubiläum von „Möbel perdu“  ■ Von Hajo Schiff

Kommerz und Kunst vertragen sich in der Kaufmannsstadt an der Elbe eigentlich ganz gut, vor allem, wenn die richtige Reihenfolge eingehalten wird. Bisher weniger von Wirtschaftsproblemen geschüttelt als andere Städte, hat sich Hamburg mit einiger Verspätung eine eindrucksvolle Kunstmeile zugelegt. Doch immer fühlt sich jemand nicht genügend beachtet, und so wird seit letztem Wochenende ganz martialisch von den angewandten Künsten zu Kreuzzügen aufgerufen. Die Organisatorin Claudia Schneider-Esleben, Trendsetterin, als sie vor elf Jahren mit Rouli Lecatsa und Michel Feith als „Möbel perdu“ die neue deutsche Design-Bewegung ausrief, bittet nun erneut für die schönen und nützlichen Dinge des Lebens um Aufmerksamkeit. Galerien und Geschäfte, Kunstgewerbe-Museum und Handwerker hat sie unter der Flagge der „1. Hamburger Design-Kreuzzüge“ versammelt.

Schon vor einem Jahrzehnt galt ihre Kritik der „Einfallslosigkeit in einer Zeit der Regression und Krise“, und an diesen Rahmenbedingungen hat sich wenig verändert: die „Untergrund-Designer“ von heute kommen für ihre aktuelle Modenschau auf keinen anderen Titel als „Rezessionsromatik“. Die ganze Aktion ist angesichts der Probleme mehr ein Behauptungsversuch der Szene als ein revolutionärer Aufbruch wie einst. Aber Spiellust, provozierender Witz, Ironie und tiefere Bedeutung der Stilexplosion in den Achtzigern wurden ja schon nach wenigen Jahren als Manierismen geoutet. In der kleinen Rückschau auf zehn Jahre „Möbel perdu“-Design im Museum für Kunst und Gewerbe erscheint manches – wie etwa der „neobarocke“ Schminkspiegel mit Celluloid und Neon von Rouli Lecatsa – als Karikatur. Jede Dekade versucht, auf die vorhergehende zu antworten, und so ist diesmal das Rezept genau andersherum: ökologisches Bewußtsein und eine neue Bescheidenheit werden vom Design gefordert, während Ikea inzwischen postmoderne Schlenker im Programm hat.

Geblieben sind die Industriekritik und die Wertschätzung der Kleinserie mit der Aufwertung des Handwerks, jedenfalls sofern die Vorreiter von damals inzwischen nicht selbst in der Industrie gelandet sind. Da ist es schon mehr als eine freundliche Geste, wenn zur großen Retrospektive in der Deichtorhalle Ettore Sottsass seinen Tischlermeister als den eigentlichen Hersteller der Kunstmöbel präsentiert. Das italienische Design steht in besonderem Maße in der Tradition des Handwerks und der Theorie, eine Kombination, in der die Industrie schon fast stört. Stefano Casciani zeigt in der aktuellen Ausstellung von „Möbel perdu“ von zwei Seiten zu benutzende Vasen in der Edition seiner Frau Gabi Faeh; er ist aber auch Buch- und Zeitschriftenautor. Für ihn ist der Designer der Zukunft ein Mediator, der Verbindungen stiftet und Images erzeugt, gleich ob mit Dingen oder Gedanken. So zeigt er auch eine Foto-Text-Tafel mit Künstler-Swatch und Revolver unter der Zeile „deSIGN of the TIMEs“ und ein Schriftpuzzle NEWWORLDISORDER. Der Mailänder bringt die Sache auf den Punkt: Das Rezept gegen die allgemeine Unübersichtlichkeit soll neue Ordnung werden. So überrascht es nicht, daß die Arbeiten des Hamburger Industriedesigners Peter Maly, dem ein Einrichtungshaus eine Einzelschau ausrichtete, erfolgreich sind. Seine fast klassischen Möbel mit nur leichten Zitaten der einstmals „wilden“ Ansätze und Teppiche in den Formen konkreter Bilder sind eine deutliche aber nicht allgemeinverbindliche Position des Spektrums, in dem auch Schlichtheit nur noch ein Eklektizismus unter vielen ist.

Daß im Prinzip heute alles geht, ist als Quintessenz eines Kreuzzuges nicht gerade überwältigend. Immerhin werden Grenzen verschoben und neues Terrain erobert: Einrichtungs- und Modehäuser der Innenstadt arbeiten beispielsweise mit Hochschulstudenten zusammen, und in einer Straßenzug-Aktion stellen 39 Designer in ebenso vielen Läden der Langen Reihe im nicht gerade feinen Stadteil St. Georg aus – und zwar so, daß Keramik im Käseladen, Fotos im Schuhgeschäft und Schmuck in der Fischhandlung ins Angebot kommen. Auch wenn mitunter der spezielle Ansatz in der Tradition konventioneller Schaufensterdekoration untergeht, gibt es dabei manche Überraschungen. Nicht zuletzt ist der nach Design fragende Blick auf die Auslagen von türkischen und indischen Läden ein Gewinn der Aktion. Die Sammlung von Figuren aus Überraschungseiern in einer Grillstation etwa ist ein Fundstück aus dem Alltag, das mancher Kunstinszenierung den Rang abläuft.

Die Palette der Kreuzzug-Aktion ist weit gespannt: Von Schrottobjekten aus den Londoner Docklands über vollrecyclebare Möbel zum traditionellen Kunsthandwerk mit seinem immer noch präsenten ideologischen Staub in folgender Art: „Nimm, was Gott gegeben, mit den Augen auf, berühre es mit dem Herzen, und laß es durch die Hände in ein Bild fließen – auf daß daraus ein Teppich werde.“ „Konsumenten lassen denken“, brabbelt dagegen ein vom Passanten durch die Schaufensterscheibe steuerbares Tonobjekt und gibt Musik im Rap dazu. Und ein Kasten von Gruppo Ortodoxo gibt zum besten: „Alles ist so wunderbar... wozu, wozu?“ Jedenfalls verbreitet sich in Erwartung des Weihnachtskaufrausches gute Laune in der Zweidrittelgesellschaft, deren Lebensbedingungen ganz woanders designt werden. Den wirklich entscheidenden Kreuzzug führen derzeit Grüne und SPD in ihren Verhandlungen um die Zukunft Hamburgs.

„Möbel perdu – Das Jubiläum“. Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg, bis 19.Dezember

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen