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„Da klappt bei mir alles runter“

■ La Palma — Bremerhaven (und schnell zurück): Hagen Westphal am Atelierplatz im Paul Ernst Wilke-Haus am Alten Vorhaven

„Hier ist alles so aufgeräumt."Foto: Holzapfel

Man stelle sich das vor — Luft: fast Körpertemperatur; Wasser: knapp darunter; Sonne: immer; gebratene Tauben fliegen einem in den Mund, in den Wäldern sprudelt vergorener Traubensaft. Man sagt „tranquilo“ und handelt danach. La Palma also, die Kanareninsel. Da lebt Hagen Westphal und wird braun und zieht Tomaten im Garten und mauert Mauern und malt Bilder, welche verkäuflich sind und gekauft werden, so daß Hagen Westphal davon leben kann und seine Familie auch. Sowas gibt es.

Man stelle sich dagegen vor: Bremerhaven.

In Bremerhaven steht ein Haus. Eher eine Hütte, aber ganz süß. Am Alten Vorhafen, dicht beim Schiffahrtmuseum, dicht am Wasser, tagaus tagein starten hier die Lotsen zu ihren nicht genug zu lobenden Einsätzen. Die Hütte heißt Wilke-Atelier, weil hier der bekannte Bre

hierhin bitte den Pfeiferaucher

merhavener Maler Paul Ernst Wilke sein Atelier hatte, als er noch lebte. Später wurde das Haus vor dem Untergang gerettet vom Freundeskreis Paul Ernst Wilke e.V., der es seit 1984 an KünstlerInnen aus aller Welt verleiht; wäre der Organisator die Stadt, spräche man in diesen Tagen vom Stadtmaler Hagen Westphal. Die Stadt spendet allerdings nur unzuverlässig ein paar Scheine.

Hagen Westphal, La Palma, malt für drei Wochen im Wilke- Atelier. So war der Plan. Danach Ausstellung, wenn nicht gar Reingewinn. Aber Westphal (Jg.39) hatte ein Problem: Er fand seinen Gegenstand nicht. Genauer: nicht mehr, denn Hagen Westphal war ganz früher mal, vor sechs Jahren, Bürger dieser Stadt. „Hier ist alles so aufgeräumt,“ stellte er sofort bei seiner Ankunft fest — immerhin kommt er aus einem Land, wo die Menschen den alten Kühlschrank in den Bach werfen. Doch noch ganz deutlich erinnert er sich an vergessene Fischerboote, herrenloses Gut, wunderschöne Schiffe, Ambiente, Atmosphäre. Heute dagegen: „Alles Grau in Grau, und ich auf der Suche nach Blau.“ Heute prangt über Bremerhaven das Motto des Columbus-Center: Parken - Kaufen - Genießen. „Da klappt bei mir alles runter,“ sagt der Künstler.

Doch es erwachte der Archäologe in Westphal, der er nämlich eigentlich ist, und er begann zu buddeln. Zum Beispiel auf dem Gelände der aufgegebenen Rickmerswerft. Rostige Eisenteile, Haken, verrottete Lederhandschuhe, Blechstücke, morbides Zeug. Bald sah es im Wilke-Atelier aus wie auf einer Mittelalter-Grabungsstätte. Dazu kamen ein Eimerchen Wesersand und einige Skizzen von schrundeligen Dalben (das sind Holzpflöcke, an denen man Schiffe festbinden kann) und Kaimauern. Auf einmal hatte Westphal Arbeit. Beziehungsweise: Er hatte Bremerhaven wiedergefunden

In der Ausstellung, die am Dienstag (2.November) eröffnet wird, wird man alte Schubladen mit hineinmontierten Objets trouves finden, Kleinplastiken aus Handschuhrest und Sockel, man wird Bilder aus La Palma und Bremerhaven vergleichen können. Man wird feststellen, daß Westphal den zarten Farbabstufungen zuneigt, daß er Aquarellist ist, der sehr-naß-in-naß bevorzugt und der darum hierzulande Probleme bekommt, weil die Bilder so langsam trocknen. Und wenn er in La Palma vom farbigen Felsen Staub abkratzt und mit Acrylbinder bindet, so trägt er hier Wesersand auf.

Wie stark sich die Kunst am (gesellschaftlichen, geografischen, meteorologischen) Umfeld orientiert, weiß Hagen Westphal am besten: Er, der sich seinerzeit eher dem Informel zurechnete, entdeckte auf der warmen Insel mit den überwältigenden Farben und der Nähe der Natur das Gesicht der Gegenstände, der Landschaften. Er entdeckte die Objekte selbst, zum Beispiel alte Fensterrahmen aus Pinienholz, die er bemalte und die dann Titel bekamen wie „Tanzende Sinne“. Auch hielt Westphal für Kunst, wie er eine Mauer baute, und siehe da: eine Konstante! Eine seiner öffentlichen Arbeiten für Bremerhaven ist die unregelmäßig reliefartig gemauerte Wand einer Turnhalle in der Bogenstraße. Noch eine Konstante: Er war nie festzulegen auf ein Genre.

Von der Ausbildung her ist Westphal Graphiker; er studierte die Nutzkunst an der Staatlichen Kunstschule Bremen (1957-1961); die folgendenzwei Jahre war er Meisterschüler

hierhin das Gemäldezimmer

des Glasmalers Johannes Schreiter, der ihm neben der Kunst der Glasmalerei das Gefühl für Farbnuancen beibrachte. Ein Viertel Jahrhundert arbeitete er als Maler und Gebrauchsgraphiker in Bremerhaven, bis er 1988 ausstieg — nach La Palma.

Fünf Tage vor Ausstellungseröffnung ist Hagen Westphal erheblich unter Dampf; wenn er auch äußerlich ruhig wirkt (Pfeifenraucher, Muscleshirt), innen kocht es — immerhin hat er sich nur drei Wochen Zeit gegeben, wo andere Ateliergäste drei Monate haben. Und dann trocknen die Bilder so langsam in Bremerhaven...

Mal möchte er so werden wie die spanischen Männer auf der Plaza mit ihrem Lieblingswort „tranqilo“; „ja, da möchte ich hin.“ Nur, was dann aus der Kunst wird, das weiß keiner. Burkhard Straßmann

Eröffnung am 2.11., 19 Uhr. Das Atelier ist dann bis 8.11. geöffnet von 15-19 Uhr; am Sonntag auch 11-13 Uhr

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