: Rot-grüne Viererbande verhandelt weiter
■ Nach Klausurtagung: Hamburger Koalitionsverhandlungen geraten in die heiße Phase
Hamburg (taz) – „Wir halten es im Interesse der Stadt für zwingend, die Flinte nicht ins Korn zu werfen.“ Sichtlich geschafft, aber aufgeräumt und längst nicht so verbissen wie zuletzt, präsentierte Hamburgs SPD-Bürgermeister Henning Voscherau Samstag nacht das Ergebnis einer zweitägigen Klausurtagung von Grünen und SPD im idyllischen „Schmökerhof“ am Stadrand Hamburgs: Ein 25stündiges Ringen über Stoßrichtung und Maßnahmen einer grünen Verkehrspolitik endete, so Voscherau, ohne „einen verkehrspolitischen Durchbruch“. Der Dissens in der Sache gab den Verhandlungen jedoch neuen Schwung. SPD-Parteichef Helmuth Frahm zur taz: „Da hat sich was bewegt. Nun müssen wir Gas geben. Ich sehe eine sehr realistische Chance für Rot-Grün. Ich hab den Eindruck, daß das gehen könnte.“
Eine ganze Reihe von Auguren hatte die Klausur im „Schmökerhof“ vorab als ersten Härtetest für den beiderseitigen Koalitionswillen bezeichnet und ein endgültiges Scheitern prophezeit. Auch am Wochenende sah es lange so aus, als sollten sich die Verhandlungen endgültig festfahren.
Entsetzen hatte in der SPD ein detailliertes Papier der Grünen zur Verkehrspolitik ausgelöst. Zwar hielt sich dieses Papier in weiten Teilen getreulich an die Beschlüsse eines SPD-Landesparteitags vom Februar 1993, mit welchem die Elb-Sozis eine verkehrspolitische Wende verabschiedet hatten, die erstmals Füsse, Fahrrad und öffentliche Verkehrsmittel als Stadtverkehrsmittel der Zukunft preist und Einschränkungen für Autofahrer fordert. Doch seit der vernichtenden Wahlniederlage in Kassel geht in der SPD die Angst um, zukunftsweisende Verkehrspolitik werde vom Wähler bestraft.
„Dabei werde das „Kassel-Syndrom“, so jüngst der renommierte Verkehrsplaner Heiner Monheim, „heillos fehlinterpretiert“: Ein arrogant-feudaler Politik-Stil des Kassler Rathauses habe eine inhaltlich gute Politik diffamiert. Eine direkt nach der Wahl in Kassel durchgeführte Umfrage belegt dies: Gegenüber einer vergleichbaren Umfrage im Jahr 1988 stieg die Zustimmung der Kassler für eine Verkehrspolitik mit Tempo 30, autoarmer Innenstadt und aktiver Förderung von ÖPNV, Fußgängern und Radfahrern sogar nochmals deutlich an. Selbst 89 Prozent der von der SPD zur CDU abgewanderten WählerInnen wollen ÖPNV- statt Autoförderung.
Dennoch fürchteten die Hamburger SPD-Unterhändler, allen voran Bürgermeister Henning Voscherau, eine offensiv auf Ökologie und Lebensqualität ausgerichtete Politik sei derzeit nicht mehr durchzusetzen. Das Ergebnis dieser Furcht ist eine eigenartige Lähmung der politischen Grundkonzeption der SPD, die sich auch auf Bundesebene zeigt: Soll sie noch ökologisch-sozialen Umbau der Industriegesellschaft betreiben? Bei den Koalitionsverhandlungen in Hamburg führte das zu seltsamen Konstellationen: Immer wieder zeigte sich, daß die SPD- Combo in sich tiefer gespalten ist, als der Graben zwischen SPD und Grünen insgesamt.
„Den Ausweg aus dieser Sackgasse soll nun eine rot-grüne „Viererbande“ von SPD-Verhandlungsführer Voscherau, Parteichef Frahm, der grünen Verhandlungschefin Krista Sager und dem als zukünftigen grünen Wissenschaftssenator gehandelten Thomas Littmann bringen. Sie will, so Voscherau, „Pakete schnüren“, sprich unauflösbare Streitpunkte gegeneinander tauschen. Daß sich Voscherau auf dieses Verfahren eingelassen hat, wird dazu führen, so SPD- Insider, daß er jetzt selbst direkt zur Formulierung von Kompromissen gezwungen wird. Scheint ein vorzeitiges Scheitern der Verhandlungen schon jetzt sehr unwahrscheinlich, so haben sich auch die Chancen für ein späteren rot- grünen Senat erheblich verbessert – mit Bürgermeister Henning Voscherau.
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