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■ Der Schutzheilige

Der Name Max Reinhardt bezeichnet mehr als einen berühmten österreichisch-jüdischen Theatermann, der von 1873 bis 1943 lebte und im amerikanischen Exil starb. Max Reinhardt – das ist der Inbegriff der bürgerlichen Theaterutopie. Beim Klang dieses Namens beginnen Augen zu leuchten, die nie eine Reinhardt- Inszenierung gesehen haben. Das ist die Sehnsucht nach dem sogenannten großen Theater, nach der vollkommenen zweiten Wirklichkeit. Max Reinhardt ist ein Mythos. Nicht nur wegen seiner immensen Schaffenskraft und Phantasie, sondern vor allem, weil er keine Programmatik entwickelte.

Theatermacher mit Stil und (politischer) Richtung wie Brahm, Stanislawski, Jessner, Piscator oder Brecht sind intellektuell noch erfaßbar – und kritisierbar. Bei Reinhardt ist das anders. Reinhardt-Theater war Schauspielertheater, seine Ideologie allein die darstellerische Möglichkeit. Das ist unkalkulierbar, jedesmal neu, zielt auf den Augenblick, entfaltet und erschöpft sich im Augenblick. Reinhardt war der Prophet des Homo ludens und wird der Schutzheilige des Theaters bleiben, solange es Theater gibt.

Von 1905 bis 1932 leitete Max Reinhardt das Deutsche Theater in Berlin. Daß man dort seines 50. Todestages am Sonntag mit einer Matinee und der Eröffnung einer Ausstellung gedachte, ist nicht nur eine wohlerzogene Geste. Der Intendant, Thomas Langhoff, ist selbst ein herausragender Schauspielerregisseur. In diesem Sinne hat er sein Theater zu einem der zuverlässigsten und anspruchsvollsten Häuser Deutschlands gemacht. Sein Bekenntnis zur Arbeit Max Reinhardts ist keine Phrase. Ausstellungsmacher Alexander Weigel hat auch die Texte der Matinee zusammengestellt und dabei klug einem gängigen Reinhardt- Bild entgegengewirkt. Denn dieser besessene Theatermann nahm seine Zeit durchaus auch vor seiner Vertreibung durch die Nazis zur Kenntnis, selbst wenn er auf Krieg und Elend nicht politisch antwortete, sondern, als ein Bürgerlicher, mit dem Versuch, Schönheit und Wahrheit in der Kunst zu schaffen.

Die umfängliche Ausstellung dokumentiert das Schaffen Reinhardts bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges und ruft auch diejenigen in Erinnerung, die mit ihm arbeiteten und seine Arbeit ermöglichten. In diesem Konzept schon rein zeitlich nicht enthalten, aber ebenfalls unabdingbar mit dem Gedenken an Reinhardt verbunden, ist das Schicksal unzähliger anderer jüdischer Künstler und Intellektueller, die emigrieren mußten oder planmäßig von den Nazideutschen ermordet wurden. Zum Gedenken an Reinhardt sollte außerdem auch immer das Bewußtsein gehören, daß seine Vorstellung vom reinen Theater nur ein – wenn auch wesentlicher – Teil des Theaters ist, das die Gesellschaft braucht. Nötig ist auch die Deutlichkeit, der Bezug zur Tagespolitik, die ästhetische Exzentrik, damit nicht nur das gesehen wird, was gesehen werden will. Reinhardt ist ein Schutzheiliger des Theaters. Sein Lehrmeister kann er nicht sein. Petra Kohse

„Max Reinhardt und das Deutsche Theater 1894–1914“. Eine Ausstellung in den Kammerspielen des Deutschen Theaters, Schumannstraße, Mitte. Bis 16. Januar 1994, täglich ab 16 Uhr.

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