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Ach, wie schön war's doch mit zwölf

■ Die Ärzte haben sich selbst reanimiert. Ein Konzert in der Berliner „Neuen Welt“

Die Ärzte sind eine Legende, spätestens seit ihrer Auflösung vor fünf Jahren. Sie waren die Teenie- Band par excellence, und allein deshalb wurden sie von vielen unterschätzt. Wer kreischende Kinder anzieht, kann kein ernst zu nehmender Musiker oder Mensch sein. Gerade die Ärzte aber schafften, was Grönemeyer, Lindenberg oder BAP nie gelang: sie waren eine subversive Band. Sie verbündeten sich mit den Jugendlichen gegen die Erwachsenen. Schon in den Achtzigern erkannten sie in weiser Punktradition, wer das neue Establishment sein würde: die Ökos. Und so konnten sie sich genußvoll über prüde FortschrittskämpferInnen hermachen und im Chor mit deren Kindern singen: „Hey, du kleine Tittenmaus, kommst du mit zu mir nach Haus?“

Auf dem Höhepunkt ihrer Popularität lösten sie sich plötzlich auf und verkauften noch Monate später jede Menge Platten. Noch heute schuldet ihnen Sony, ihre ehemalige Plattenfirma, eine goldene Schallplatte. Die ärztelose Zeit überbrückten Bela und Farin mit eigenen Bandprojekten. „King Kong“ oder „Depp Jones“ aber wollte kaum jemand hören, „und das Geld zählen wurde auch irgendwann langweilig“.

„Beste Band der Welt sucht Plattenfirma“, annoncierten sie dann im Sommer im Branchenblatt Musikmarkt. Die Konzerne überboten sich gegenseitig, nachdem sie erfuhren, daß die Ärzte sie nicht einfach nur verarschen wollten. „Unser alte Firma bot am wenigsten.“ Die dürfte sich inzwischen schön ärgern. Nachdem die ersten Auferstehungsgerüchte umgingen, gab es auch schon Karten für ihre Tournee. Die meisten Termine, die vorsichtigerweise in mittleren Hallen gebucht wurden, waren sofort ausverkauft. Obwohl zu diesem Zeitpunkt noch niemand ihre neue Platte kennen konnte.

Dann erschien Ende September ihre neue Single „Schrei nach Liebe“, die schon durch Vorbestellungen in den Top 10 landete. In dem Song, der mit bis dato unärztlichen Gitarrensalven aufwartet, rechnen die drei Jungs mit den neuen Rechten ab. In einer obskuren Mischung aus Sozialpädagogenchinesisch und Straßenslang heißt es: „Du bist wirklich saudumm, Haß ist deine Attitüde. Deine Gewalt ist nur ein stummer Schrei nach Liebe. Du hast nie gelernt, dich zu artikulieren – deine Eltern hatten niemals für dich Zeit, ohhoho: Arschloch!“ Vielleicht ist dieses Lied am Ende auch nur ein hilfloser Versuch, mit der rechten Gewalt umzugehen; aber es ist doch um Längen besser als vieles, was bisher zu dem Thema vorliegt. Denn es kündigt jegliche Übereinkunft, nicht nur mit „Faschisten“, sondern auch mit allen, die immer eine pädagogisch verbrämte Erklärung parat halten.

Auch die Ärzte setzen am Ende allerdings nicht auf die Vernunft der Kids, sondern hoffen auf ihre immer noch vorhandene Autorität: „Ich glaube nicht, daß wir damit irgendwelche Faschos davon abhalten, ihren Schwachsinn durchzuziehen. Aber vielleicht können wir Jugendlichen, die Identifikationsfiguren suchen, helfen, ihre Meinung dazu besser zu formulieren.“

Die Konzerte ihrer gerade angelaufenen Tournee eröffnen die fantastischen drei also mit ihrem „Schrei nach Liebe“ – und alle brüllen im Chor: Arschloch! Antifa-T-Shirts werden auf ausdrücklichen Wunsch der Band verkauft, und Flugblätter ihrer Lieblingspartei KPD/RZ (Kreuzberger Patriotische Demokraten/ Realistisches Zentrum) liegen aus (Bela B.: „Ich bin von den Grünen enttäuscht!“). Konzertbesucher tragen die Aufschriften: „Ich bin Scheiße“ oder „... nicht stolz, ein Deutscher zu sein“ auf der Brust.

Das Ärzte-Publikum kennt scheinbar alle Songs auswendig. Man fordert „Claudia“, die es mit ihrem Schäferhund treibt und dafür schon im ersten Leben der Ärzte von der „Prüfstelle für jugendgefährdende Schriften“ gemaßregelt wurde. Die „Tittenmaus“ muß bis zum ausgiebigen Zugabenblock warten. Davor liegt ein Schweinsgalopp durch sämtliche Ärzte-Sprechstunden. Bela läßt seine tätowierten Arme auf das Schlagzeug los, dazu trägt er ein Fußball-T-Shirt und eine Hose mit Elvis-Köpfen. Farin sieht immer noch aus wie der Schwarm aller Mädchen, auch wenn er längst studiert, aber das werden die Mädchen im Publikum auch bald tun. Einstweilen üben sie sich noch im exzessiven Transpirieren, es riecht wie in der 11. Klasse beim Aufsatz.

Aber die Ärzte wollen schon auch anders sein als früher: die neuen Texte sind intelligenter, die Musik will jetzt tatsächlich Musik sein. Die Lust am regressiven Quatsch, am albernen „Pippi Kacka AA“-Sagen, ist nicht völlig verschwunden, aber man merkt den Ärzten an, daß sie nicht einfach mehr nur Spaßpunks sein wollen. „Wir haben als Ärzte doch den totalen Jagdschein, wir können alles machen.“ Auf der Bühne nutzen sie diese Freiheit nur bedingt. Ihre in den letzten fünf Jahren nachgewachsenen Konkurrenten „Die Prinzen“ werden ordentlich verarscht und den „Fantastischen Vier“ wird bewiesen, daß Ärzte schon lange rappen können.

Ein Konzert, bei dem gerade mal Volljährige schon in den Genuß nostalgischer Gefühle kommen: Ach wie schön war's doch mit zwölf, als wir immer Ärzte gehört haben. Andreas Becker

Konzerttermine: 2.11. Düsseldorf, 3.11. Bremen, 4.11. Frankfurt, 5.11 Stuttgart, 6.11. München (Alle bereits ausverkauft, aber es geht weiter bis Mitte Dezember.)

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