: Neue Wache: Dem alten treu
■ Rekonstruktionsarbeiten stehen kurz vor dem Ende / Der Innenraum wurde nach dem Vorbild von 1931 wiederhergestellt / Nur die Urnen erinnern an DDR-Mahnmal
Ein Ehrenmal für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges, ein Mahnmal für die Opfer des Faschismus und Militarismus, all dies war die Neue Wache schon einmal. Ab 14. November wird sie die Zentrale Gedenkstätte der Bundesrepublik Deutschland sein, der Ort der protokollarischen Trauer über alle „Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft“, ganz gleich ob Soldat, Widerstandskämpfer, ermordeter Jude, Homosexueller, Bombenopfer oder erschossener Gegner des Stalinismus. Am offiziellen Trauerprocedere von Bundeskanzler Helmut Kohl und allen Spitzen der deutschen Verfassungsorgane arbeitet derzeit die Protokollabteilung des Bundesinnenministeriums. Und bedeutender als die am Volkstrauertag abgeschlossene detailgetreue Rekonstruktion des von Heinrich Tessenow gestalteten Innenraums von 1931, wird ihnen die korrekte Aufstellung der vier neuen Fahnenmasten links und rechts außerhalb der Neuen Wache sein. Der Boden dafür ist schon ausgehoben.
Die Fahnenmasten interessieren den Berliner Architekten Peter Dörrie hingegen nur mäßig. Monatelang hat er die Umbauarbeiten im Inneren der Neuen Wache geleitet – und dieses Werk ist fast fertig. Unter seiner Ägide verschwanden alle Zeugnisse der DDR-Umgestaltung von 1968/69. Dank seiner akribischen Spurensuche sieht der Raum zwei Wochen vor der Einweihung wieder beinahe so aus, wie ihn Tessenow am Ende der Weimarer Republik entworfen hatte: Leer und groß, sieben Meter hoch, 19 Meter breit und 16 Meter tief. Vorgestern verschwanden auch die Plastikfolien vor den Wänden, und die neue, alte Wandverkleidung ist zu sehen.
Peter Dörrie ersetzte die in der DDR-Zeit montierten weißen Platten aus bulgarischem Muschelgestein durch hellgraue Muschelkalkplatten aus der Eifel. Genau wie beim Orginal und genau wie früher mit einem Fugenabstand von acht Millimetern, damit die Struktur zu erkennen ist.
Auch das Licht und der Regen werden bald wie früher auf den Fußboden fallen. Das vier Meter weite und offene Loch in der Decke ist bereits mit einem Kupferring umfaßt, von der DDR-Plexiglasverkleidung ist keine Spur mehr zu sehen. Bei Tessenow fiel das Licht direkt auf den Granitsockel mit dem Eichenkranz, in Zukunft wird es die anderthalb Meter vergrößerte Pieta von Käthe Kollwitz erleuchten. Aber der Regen wird ihr die notwendige Patina geben, erhoffte sich kürzlich der Bildhauer Harald Haacke. Bis übermorgen wird das hereinfallende Licht noch durch ein großes Gerüst in der Mitte des Raumes gebremst, denn „die Kupferdachverkleidung ist noch nicht ganz vollständig“, sagt Peter Dörrie.
Ganz besonders stolz ist der Architekt auf die Wiederherstellung des Fußbodens, ein Gemisch von Original und detailgetreuer Rekonstruktion. Denn unter den während der DDR-Mahnmalzeit verlegten Marmorplatten entdeckte er bei Grabungsarbeiten das alte und berühmte Mosaikgeflecht. Bei Heinrich Tessenow bestand dieser Fußboden aus einem komplizierten Muster von länglichen, ganz kleinen und mittelgroßen Basaltlavasteinen. Peter Dörrie mußte dieses Muster erst entziffern lernen, um die während der DDR-Zeit ausgeschachteten Quadratmeter Boden wieder mit neuen Basaltsteinen aus der Eifel belegen zu können. Aber genau diese Steine sind auch der Grund, warum Peter Dörrie über die ganze politische Auseinandersetzung, die es um den Umbau der Neuen Wache zur Zentralen Gedenkstätte gegeben hat, so „unglücklich“ ist. „Ich habe das Gefühl“, sagt er, „daß dieser Streit über die Formen zeitgenössischer Trauer meine Handwerksarbeit entwertet hat.“ Vor lauter öffentlichem Ärger über die neue auf Marmorplatten inmitten des Raumes eingelassene Inschrift „Den Opfern von Krieg und Gewaltherrschaft“ werde jetzt kein Gegner mehr den „wunderbaren“ Tessenowschen Fußboden würdigen, befürchtet er.
Unter dieser Inschrift ruhen 20 Urnen, die die DDR-Regierung 1969 in den Boden eingelassen hatte. Neun dieser Urnen bergen Erde aus den Konzentrationslagern Auschwitz, Mauthausen, Natzweiler/Stutthof, Theresienstadt, Dachau, Buchenwald, Sachsenhausen, Ravensbrück und Nordhausen/Dora. Ihnen gegenüber liegen weitere neun Gefäße mit Erde von verschiedenen Schlachtfeldern aus ganz Europa. Sie sind jeweils gruppiert um zwei größere Urnen, die menschliche Asche enthalten. Eine, die Asche eines 1945 erschossenen unbekannten Widerstandskämpfers, die andere die Asche eines unbekannten deutschen Soldaten. „Gott sei Dank“, sagt Peter Dörrie, „daß es wenigstens über ihren Verbleib in der Gedenkstätte keinen Streit gegeben hat.“ Anita Kugler
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