: Fadenkreuz für den Todesschuß
■ Ausländerfeindliche Schmierereien unter Polizistenaugen
„Keine ausländerfeindlichen Tendenzen“ attestierte Polizeipräsident Hagen Saberschinsky seiner Truppe am Montag dieser Woche vor dem Innenausschuß des Parlaments. Am gleichen Tag erstattete Jugendsozialarbeiter Günther Orlopp Anzeige gegen Unbekannt: Ein Zivilpolizist hatte ihn in einem Raum verhört, den ein Fahndungsplakat mit „rassistischen und gewaltverherrlichenden Schmierereien“ geziert habe.
Im Auftrag der Wohnungsbaugesellschaft „WIR“ wollte Orlopp am Samstag nachmittag zusammen mit einigen Jugendlichen vier Wände mit Graffiti besprühen, als sie plötzlich der Zivilpolizist aufgefordert habe, wegen dieser „illegalen Aktion“ mit auf seine „Dienststelle“ zu kommen. Die „Dienststelle“ entpuppte sich als Raum im U-Bahnhof Hallesches Tor, der offenbar von BVG- und Polizeibeamten gemeinsam genutzt wird. „Für jeden deutlich sichtbar“ habe in dem Raum direkt neben der Tür ein beschmiertes Fahndungsplakat gehangen. Mit Kugelschreiber, so Orlopp, hatte jemand dem dunkelhaarigen Verdächtigen auf der Phantomzeichnung den türkischklingenden Namen „Bülent“ verpaßt. „Auf die Stirn des Mannes“, erinnert sich Orlepp, „war ein Fadenkreuz als Zielvorgabe für einen Todesschuß gezeichnet.“ Über seinem Kopf habe gestanden: „Hängt ihn auf.“
Orlepps Vorwurf an die Polizeibeamten: Selbst wenn die Schmierereien nicht von ihnen stammen sollten, hätten sie das Plakat doch „gekannt und geduldet“. Die Polizei wollte gestern zu der Anzeige keine Stellung nehmen, da die Angelegenheit noch nicht überprüft sei. Der Staatsschutz ermittelt.
Polizeipräsident Saberschinsky und Innensenator Dieter Heckelmann (CDU) hatten vor dem Innenausschuß darauf beharrt, daß die in letzter Zeit bekanntgewordenen Fälle von Ausländerfeindlichkeit und Nazi-Verehrung vor allem bei Polizeischülern „Einzelfälle“ seien. Eine Ansicht, die auch Hauptkommissar Klaus-Dieter Reichelt teilt, seines Zeichens „Koordinator für polizeiliche Anliegen ausländischer Mitbürger“. 30.000 Berliner Polizisten, so Reichelt, repräsentierten den Querschnitt der Bevölkerung. Ausländerfeindliche Vorfälle könne man leider genausowenig ausschließen wie „Polizisten, die betrunken Auto fahren oder einen Ladendiebstahl begehen“.
Berlins Gerichte jedenfalls kennen keine Rassen. Von den 452 Anzeigen in diesem Jahr gegen Berliner Polizisten wegen Körperverletzung im Amt wurden 73 von Ausländern erstattet. Ganz gleich, ob von Deutschen oder Ausländern: Bisher führte keine einzige Anzeige zur Verurteilung. kai
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen