: Indien: Die Mühen der Ebene
Biogas bringt Arbeit, doch auch angepaßte Technologien garantieren nicht allen Dörflern bessere Lebensverhältnisse ■ Aus Pura Hermann-Josef Tenhagen
Pura (taz) – Ramamurthy ist eigentlich mit sich und der Welt zufrieden. Der drahtige junge Mann hat einen sicheren Job, einen verläßlichen Arbeitgeber und eine nützliche Aufgabe. Nur mit seinen Nachbarn klappt es manchmal nicht so richtig. „Die liefern einfach nicht genug Mist an“, klagt Ramamurthy.
Der ansonsten eher wortkarge Landmann betreut eine kleine Biogasanlage im Dörfchen Pura im südindischen Bundesstaat Karnataka. 250 bis 300 Kilo Kuhdung setzt die Anlage in den beiden Stahltanks täglich in Biogas um. Das Gas treibt einen Fünf-Kilowatt-Generator in der Hütte neben den Gastanks an. Und der erzeugte Strom hält die Pumpe am Dorfbrunnen in Betrieb. Zusätzlich können die meisten Dorfbewohner jetzt von sechs bis neun abends im Licht einer 20-Watt-Neonröhre in der Küche sitzen.
Die Dörfler, 500 an der Zahl, schätzen sich glücklich, den Ökostrom zu haben. Im Gegensatz zum staatlichen komme er hier wenigstens verläßlich, sagt einer. Wichtiger aber noch für die meisten Familien: Sie brauchen keinen Zähler zu kaufen. Die staatliche Steckdose kostet nämlich 1.000 Rupien, deutlich mehr als ein Monatsverdienst.
78 Familien sind in Pura an den Ökostrom angeschlossen, an der wichtigsten Kreuzung im Dorf, gegenüber vom Tempel, hängt die Liste im Glaskasten aus. Vermerkt ist dort auch, wer diesen Monat bezahlt hat und wer noch nicht. Fünf Rupien treibt das zehnköpfige Stromkomitee im Dorf für jede Neonröhre ein, die angeschlossen ist – und noch einmal 15 Rupien für den Wasseranschluß im Haus, der von der elektrischen Pumpe direkt bedient wird. 1.000 Rupien kommen so im Monat zusammen.
Das Projekt ist dennoch keineswegs perfekt. Gerade diejenigen mit den meisten Kühen und Büffeln sind es, die Ramamurthy Probleme machen: Sie haben keine Lust mehr, ständig den Mist zur Biogasanlage zu schleppen, damit auch die ärmeren Nachbarn abends Licht haben. So trägt ein Teil der 250 Rindviecher, die das Dorf bevölkern, nicht zur neuen Helligkeit bei. Kleinere Biogasanlagen nur für die paar reicheren Bauern mit mehreren Kühen wären zwar technisch möglich, dann aber ginge wieder eine Entwicklung an den Ärmsten im Dorf vorbei.
„Die Frauen und Kinder brauchen das Wasser nicht mehr mühselig aus dem Brunnen zu pumpen“, sieht denn auch der Initiator des Projekts, Professor Jagadish vom Indian Institut of Science, als großen Vorteil. Aber abends, wenn für drei oder vier Stunden die Pumpe stillsteht und die Lampen das Dorf erleuchten, läuft der Generator nur mit halber Kraft. Das verschlechtert die technische Effizienz der Anlage. Außerdem könnten die Einnahmen gesteigert werden, wenn man den abends erzeugten Reststrom verkaufen könnte.
Astra, der Trägerverein des Projekts, hat dafür gesorgt, daß der Bundesstaat Ramamurthys Gehalt bezahlt. Der Staat hat auch die 100.000 Rupien für die Anlage investiert und die Leitungen gelegt, aber Jagadish möchte gern, daß die Dörfler den Strom besser nutzen, mehr zahlen und damit die Wirtschaftlichkeit des Projektes beweisen.
Astra steht für „Application of Science and Technologie to Rural Areas“, angepaßte Technologien also. Astra ist aber auch das Sanskrit-Wort für Waffe. Und als Waffe gegen das unangepaßte Entwicklungsmodell des Westens würde Jagadish die Biogasanlage gerne einsetzen. „Der Biomasse gehört die Zukunft, sie ist erneuerbar, und sie trägt nicht zum Treibhauseffekt bei.“
Auf Indiens Feldern, Wiesen und in Indiens Wäldern wüchsen jährlich 1,4 Milliarden Tonnen Biomasse. Das sei vom Brennwert her mehr, als an Kohle, Öl und Holz heute in Indien verbrannt wird. „Wenn wir die Autos weitgehend abschaffen und die Zahl der Rinder verringern, ist Indien ein energiereiches Land“, so Jagadish. „Wir können doch nicht so wirtschaften wie der Westen. Wenn jeder Inder so viel Energie verbrauchen wollte wie jeder Amerikaner, wäre das eineinhalbmal soviel wie weltweit verbraucht wird.“
Die Bauern im Nachbardorf Ungra sehen das nicht so dogmatisch. Ungra ist größer als Pura und reich an neuen roten Dachziegeln. Die beiden jungen Männer, die auf Vorschlag des Dorfes hier Ramamurthys Job übernehmen sollen, sehen keine Probleme. Vielleicht fällt ja nach der Erleuchtung noch ein bißchen Energie für die Bewässerungspumpe ab, hofft ein Bauer. Man hat schließlich ein Bewässerungssystem, kann deshalb Zuckerrohr anbauen und günstig vermarkten.
An andere Entwicklungskonzepte denken die Dörfler nicht, warum auch. Sie verbinden Biogas mit Arbeit und Wohlstand, wie Ramamurthy. Der verkauft inzwischen den Ökostrom auch schon mal zum Dorffest in Pura oder bei Familienfeierlichkeiten. Für Ramamurthy ist vor allem wichtig: „Ich hatte mal ein Arbeitslosigkeitsproblem, und jetzt habe ich ordentlich zu tun.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen