: Neue Vorwürfe gegen „Colonia Dignidad“
■ Diente Siedlung in Chile als Folterschule? / Berichte über „Arbeitslager“
Stuttgart (epd) – Die Menschenrechtsverletzungen in der von Deutschen bewohnten Siedlung „Colonia Dignidad“ in Chile während der Zeit der Militärdiktatur waren nach den Worten des Pfarrers Helmut Frenz schlimmer als bisher angenommen. Auch außerhalb des hermetisch abgeriegelten Siedlungsgeländes sei die Kolonie am „Verschwindenlassen“ politischer Gefangener beteiligt gewesen, sagte Frenz am Dienstag abend in Stuttgart anläßlich der Vorstellung eines neuen Buches über die Colonia Dignidad. Das schleppende Verfahren vor chilenischen Gerichten zeige, daß die Kolonie „offenbar mächtigen Schutz“ genieße, betonte Frenz, der während des Putsches im September 1973 Bischof der Lutherischen Kirche in Chile war.
Bundespräsident Richard von Weizsäcker hatte anläßlich seines Staatsbesuches in Chile am Dienstag gegenüber Präsident Patricio Aylwin erklärt, er erwarte „Fortschritte in der Behandlung dieser Frage“. Nachdem die chilenische Regierung der Kolonie 1991 die Gemeinnützigkeit aberkannt hatte, liegt die Entscheidung über ihre Existenz nun bei der Justiz.
Die Siedlung Colonia Dignidad wurde im Jahr 1961 von einer deutschen religiösen Sekte gegründet. Friedrich Paul Hellers Buch „Colonia Dignidad – Von der Psychosekte zum Folterlager“, das der Schmetterling-Verlag vorstellte, bringt neue Hinweise darauf, daß Gefangene der Pinochet-Diktatur in der Kolonie und im nahe gelegenen Arbeitslager Monte Maravilla interniert wurden.
Heller zufolge hatte die „Folterschule“ des damaligen Geheimdienstes Dina ihren Sitz in der von rund 300 Deutschen bewohnten Siedlung. Der Leiter der „Schule“, Fernando Gomez, absolvierte laut einer von Heller zitierten Personalakte des Heeres in dieser Zeit nicht näher bezeichnete „Geheimdienstarbeit, die Gegenstand mündlicher Erklärungen im persönlichen und privaten Gespräch“ gewesen sei. Gomez ist als Angeklagter in einem Prozeß wegen 21 „verschwundener“ politischer Gefangener in Haft.
Der Autor berichtet über bisher unveröffentlichte Zeugenaussagen über das Arbeitslager Monte Maravilla, das mit der Colonia Dignidad „personell und infrastrukturell“ verwoben gewesen sei. In dem Lager seien rund 100 Chilenen gefangengehalten worden, um „ihre Seelen zu läutern“. Sie seien bis heute verschwunden.
Die deutsche Botschaft und das Bonner Auswärtige Amt seien lange Zeit „äußere Stützen“ der Colonia Dignidad gewesen, schreibt Heller. Erst nachdem 1985 Berichte über Mißhandlungen an Colonia-Mitgliedern durch Sektenführer Paul Schäfer verbreitet wurden, sei Bonn auf vorsichtige Distanz gegangen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen