piwik no script img

Heitmännischer Starrsinn

Interview mit dem früheren „Spiegel“-Journalisten Otto Köhler über eine etwas andere „Spiegel“-Affäre, die Frühzeit des Blattes und Rudolf Augstein, der heute 70 Jahre alt wird  ■ Von Hans-Hermann Kotte

Die „Spiegel-Affäre“ von 1962 ist Legende – sie brachte Magazinchef Rudolf Augstein in den Knast und kostete den Verteidigungsminister Franz-Josef Strauß das Amt. Weniger bekannt ist eine andere, hausgemachte „Spiegel-Affäre“. Von September 1971 bis Januar 1972 kündigte Rudolf Augstein fünf exponiert linken „Spiegel“-Redakteuren: Dem Ressortchef Deutschland I, Alexander von Hoffmann, dessen Stellvertreter Hermann L. Gremliza, sowie den Redakteuren Bodo Zeuner, Dieter Brumm und dem Kolumnisten Otto Köhler. Das Aufräumen bei der Blattlinken, die nach 1968 erstarkt war und volle Mitbestimmung bei redaktionellen, personellen und organisatorischen Entscheidungen forderte, sicherte Augstein die Macht als „Herr im Haus“.

Otto Köhler, der von 1966 bis Ende 1971 beim „Spiegel“ war, gibt in diesem Interview Auskunft über den Konflikt. Köhler hatte von 1963 bis 1966 bei „Pardon“ gearbeitet, war später bei „Konkret“ und ist heute als freier Journalist tätig. Er schrieb auch Bücher über Journalisten unter Hitler und danach („Wir Schreibmaschinentäter“) und die IG Farben („Und heute die ganze Welt“).

taz: 1971/72 amputierte Rudolf Augstein das, wie er selbst sagte, „linke Standbein“ des „Spiegel“. Was hatte dazu geführt?

Otto Köhler: Vorausgegangen war dem eine Kampagne gegen den Spiegel von Unternehmerseite und von der Konkurrenz, die das Magazin im Jahre 1971 20 Prozent seines Anzeigenaufkommens kostete. Protagonisten dieser Kampagne waren der Bauer Verlag, der Springer Verlag und der sogenannte „Kronberger Kreis“, eine Gruppe von Industriellen. Im Februar 1971 hatte die Bauer Verlagsgruppe die Wirtschaft dazu aufgefordert, sozialistisch agierende Organe wie Spiegel und Stern nicht mehr mit Anzeigenmillionen zu unterstützen. Im Oktober 1970 hatte schon der „Platow- Brief“, ein vertraulicher Informationsdienst für die Wirtschaft, im Spiegel Kräfte am Werk gesehen, die das freie Unternehmertum zerstören wollen: Die Deutschen Unternehmer lieferten das Geld, mit dem sie liquidiert würden.

Eine Rolle beim Rausschmiß der Linken spielte doch auch der Kampf der Spiegel -Redakteure um Mitbestimmung, um ein Redaktionsstatut...

Ja, das überlappte sich. Man kann wohl sagen, daß die Kündigung von Gremliza, Hoffmann und Zeuner hauptsächlich die Verteidigung Augsteins gegen die Mitbestimmungsbewegung darstellte. Hier war die Machtfrage das Entscheidende, denn sich dem Druck der Inserenten zu beugen, mußte für Augstein unangenehm sein, das hat er nicht sofort getan. Mit der Kündigung von Brumm und mir sollte nach außen ein Zeichen gesetzt werden, daß man der Wirtschaft geneigter gegenüberstehe, als sich das beispielsweise damals in meinen Kolumnen ausdrückte.

Sie waren Medienkolumnist, wieso war das das entscheidende Signal?

In dieser Zeit gab es sehr viele Streiks. Dieses Themas habe ich mich häufig angenommen, und dies in sehr eindeutiger Weise, die Unternehmern nicht gefallen konnte. Ein Kolumne zur Kündigung von dju-Funktionären bei der Frankfurter Rundschau durfte im Spiegel gar nicht erscheinen, Konkret und Pardon haben sie dann gedruckt.

Nach meiner Kündigung hatte ich ein sehr komisches Erlebnis: Brumm und ich gingen zum Verlagschef Becker, um unser Recht auf Einsichtnahme in die Personalakte wahrzunehmen. Nach einigem Zögern wurden wir vorgelassen. Mein Aktenstück war sehr dünn, acht Blatt vielleicht. Doch man konnte an den Deckeln und am Rücken sehen, daß die Akte ursprünglich sehr viel dicker gewesen war. Später erfuhr ich dann, daß darin so einige Briefe von Firmen gewesen waren, die zur Kündigung beigetragen haben dürften. Auffällig war auch die Begründung der Kündigung, die dann durch Presseberichte öffentlich wurde. Der schöne Satz lautete: „Eine tragfähige Übereinstimmung über Thematik, Gestaltung und Kontinuität der Pressekolumne hat zu keinem Zeitpunkt seit Vertragsbeginn bestanden.“ Man wollte also dartun, daß ich den Spiegel fünf Jahre lang praktisch vergewaltigt hatte, man wollte ein Signal geben. Auffällig auch der zeitliche Zusammenhang: Gekündigt wurde ich am 28. Dezember 1971, für Ende Januar 1972 stand ein neues Treffen des „Kronberger Kreises“ bevor.

Zu diesem Zeitpunkt wurde auch die Kündigung von Brumm noch nachgeschoben – kurz vor seiner Wahl zum Betriebsrat, die ihm besonderen Kündigungsschutz gebracht hätte.

Der Kampf der Mitbestimmungsbewegung ging um ein Redaktionsstatut, das verhandelt wurde, aber nicht zustande kam. Warum?

Das Statut ist der Redaktion abgekauft worden durch das Beteiligungsmodell von Augstein. Es sichert den Spiegel-Redakteuren 50 Prozent am Verlag. Was da Jahr für Jahr an Geld ausgeschüttet wird, das hält die Leute ruhig, führt aber auch zu einer gewissen Unbeweglichkeit, es wird nicht in neue Objekte investiert. Beispielsweise die Investition in eine Tageszeitung – daran ist überhaupt nicht zu denken. Das ist bedauerlich, denn gerade in Hamburg ist die Situation beschämend, hier gibt es ja keine seriöse große Tageszeitung.

In „Konkret stand damals, daß die „Demokratisierung“ des „Spiegel“ kurz bevorgestanden habe. War die Mitbestimmungsbewegung tatsächlich so mächtig?

Wie mächtig die Haus-Linke war, hatte sich von Herbst 1969 bis Herbst 1971 bei Wahlen für Verhandlungskommissionen, bei Redaktionsvollversammlungen und Unterschriftensammlungen gezeigt. Da hatten die Kämpfer für redaktionelle Mitbestimmung deutlich die Mehrheit. Doch die bröckelte unter dem Druck der Kündigungen ab.

Stellte die Amputation des linken Standbeins eine „Rechtswende“ des „Spiegel“ dar, wie Bodo Zeuner später schrieb?

Es war schon ein Signal, daß der Spiegel nicht mehr so sein wollte, wie er vorher war. Das ließe sich sicher auch aus dem Blatt ablesen, wenn man es genau untersucht.

Als ich 1966 beim Spiegel anfing, da war das so etwas wie ein „erfüllter Lebenstraum“. Schon als ich mit 18 begann zu studieren und den Spiegel las, da dachte ich, beim „Sturmgeschütz der Demokratie“, da würdest du auch mal gern dabei sein. 1963 schrieb ich dann bei Pardon eine Kolumne über die Springer-Presse und ihren demagogischen Umgang mit den Vietnam- Demonstranten. Der Schluß dieses Artikels war ein Appell an Augstein, er möge doch dieser Stadt eine vernünftige Tageszeitung bescheren. Da muß mein Name irgendwie in seinem Gedächtnis haften geblieben sein. Und als dann im Jahre 1966 für den Spiegel der peinliche Druckvertrag mit Springer ins Haus stand, da holte sich das Magazin ein Feigenblatt, holte mich als Medienkolumnisten nach Hamburg. Ich war glücklich.

Die Sache mit den Kündigungen habe ich Augstein später natürlich übelgenommen. Das hinderte mich aber nicht, ihn als einen Großen unserer Publizistik anzusehen.

Und hat sich da etwas geändert?

Was mich wirklich umgeworfen hat und mein Urteil über Augstein und den Spiegel völlig verändert hat, das war im letzten Jahr. Da stieß ich in einem Augstein-Kommentar zu Manfred Stolpe auf den Satz, daß der Spiegel schon immer ein Organ der Aufklärung gewesen sei und das schon 1950/51 bewiesen habe, als in seinen Spalten Erich Mielke zweimal als „Doppelmörder“ bezeichnet worden sei. Das regte mich dazu an, einmal nachzulesen, was damals im Spiegel stand. Das war ein völlig anderer Spiegel, als ich im Gedächtnis hatte.

Inwiefern?

Ich entdeckte im Mai 1949 eine Rechtfertigungsserie für die Gestapo. Im Oktober 1949 stieß ich auf eine Rechtfertigungsserie für die Kriminalisten im ehemaligen Reichssicherheitshauptamt. Eine Serie über Artur Nebe, der auch Chef der Einsatzgruppe B gewesen war, die im Osten 45.000 Menschen umbrachte. Dazu fand ich eine Kolumne von Augstein, in der er sich dafür aussprach, doch diese bewährten Kriminalisten aus dem Reichssicherheitshauptamt doch wieder in das neu zu gründende Bundeskriminalamt aufzunehmen. Augstein als Schutzpatron des SD! Und der Spiegel das inoffizielle Organ der ehemaligen Mitarbeiter des Reichssicherheitshauptamtes: Eine Serie über Kaffee-Schmuggler, die von zwei ehemaligen Angehörigen des Reichssicherheitshauptamts geschrieben war, die war voll von wüstem Antisemitismus. Um diese Serie gab es damals einen Prozeß, über den Augstein selbst im Spiegel berichtete. Auch dieser Bericht enthielt offen antisemitische Passagen. Dies erst vor einem Jahr entdeckt zu haben, ist ein Vorwurf, den ich mir machen muß. Ich war Medienkolumnist des Spiegel, aber mit der Geschichte des eigenen Blattes hatte ich mich nie beschäftigt. Das hätte ich früher merken müssen.

Waren das nicht bloß Ausreißer? Augstein machte damals doch Front gegen Adenauer...

Den jungen Oppositionellen, der ich damals war, beeindruckte das. Ich machte mir leider keine Gedanken über Augsteins nationalistische Motivation.

Für Aufregung hat in diesem Jahr ein Kommentar Augsteins gesorgt, in dem er vom europäischen Kulturgarten schrieb, in den ihm die Türken nicht so recht hineinpassen...

Der Mann ist fertig... Es ist natürlich auch das Bier, er hat sich in Tempo ja dazu bekannt. Trotz allem schade um ihn.

Augstein – schon immer ein Rechter, ein Deutsch-Nationaler?

Zu meiner Zeit beim Spiegel nicht. Ich habe das jedenfalls nicht bemerkt, vielleicht war Augstein damals anders. Es ist wohl auch der Zeitgeist jetzt, eine Regression auf die früheren Jahre.

Zur Zeit der Kündigungsaffäre prägte Augstein den Ausspruch, der „Spiegel“ bleibe „ein im Zweifelsfall linkes Blatt“.

Er zweifelt nicht mehr. Sicherlich hat der Spiegel auch dazu beigetragen, die Bundesrepublik etwas zu zivilisieren. Aber jetzt ist er dabei, dieses Land wieder zu barbarisieren – wenn man an die Asyl- Titel denkt und den antisemitischen Gysi-Titel. Oder den heitmännischen Starrsinn, mit dem Augstein jetzt in seiner Geburtstagssendung im „Spiegel-TV“ auf seiner Franzosenfeindschaft beharrt.

Und auf seiner Türkenphobie, die er nach den Morden von Mölln und Solingen ausgerechnet unter Berufung auf den abendländischen Raubritter Prinz Eugen aller Welt verkündet hatte. Aber wenn er mal eine Woche Ruhe gibt und die vernünftigen Leute in der Redaktion arbeiten, dann kann es wieder ganz anders aussehen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen