Warnung vor Putsch in der Nacht

■ Rom: Gewerkschaft fordert Wachsamkeit / Präsident Scalfaro erklärt sich in Fernsehansprache für unschuldig

Rom (taz) – Die Aktion sollte die Dramatik unterstreichen; doch irgendwie geriet sie zwischen Posse und Weltuntergang: Auf dem ersten TV-Kanal liefen gerade nochmal die Trauerfeierlichkeiten für das letzte Symbol eines heilen Italien, Federico Fellini; im Dritten der staatlichen RAI flimmerte die Gaunerkomödie „Diebe haben's schwer“ über die Mattscheibe – da erschien grell-gelb eingeblendet der Hinweis, daß Staatspräsident Oscar Luigi Scalfaro um 22.15 Uhr auf allen Fernsehsendern eine Ansprache halten werde.

In den Partei-Hauptquartieren wurden gerade laufende Sitzungen unterbrochen, die Gewerkschaften riefen das Volk auf, „allem vorzubeugen, was zum Umsturz führen könnte“. In den Redaktionen schien klar: Der erst im Vorjahr gewählte Saubermann der Nation tritt zurück. Die im Laufe des Tages sich verdichteten Indiskretionen über eine mögliche Verwicklung des höchsten Staatsrepräsentanten in einen gigantischen Veruntreuungsskandal des zivilen Geheimdienstes SISDE hatten den Schritt in immer greifbarere Nähe gerückt. Hastige Krisensitzungen mit den höchsten Amtsträgern – Senats- und Deputiertenpräsidenten Spadolini und Napolitano sowie Regierungschef Ciampi – schienen ebenfalls keinen Zweifel zu lassen.

Doch dann war alles wieder anders: Zwar verkündete Scalfaro ein lautes Non ci sto – „Da mache ich nicht mit“ –, doch er endete mit der Versicherung, im Amt zu bleiben. „Zuerst haben sie es mit Bomben versucht, jetzt betreiben sie es mit Brunnenvergiftung“ waren die ersten Worte seiner Erklärung.

Italien hatte sich allerdings etwas mehr erhofft, zumindest ein paar Worte zur Substanz der Vorwürfe gegen Scalfaro: Nicht weniger als drei vor kurzem verhaftete hohe Funktionäre des SISDE behaupten, seit 1982 seien alle Innenminister nicht nur über die regelwirdige Verwendung geheimdienstlicher Fonds im Bilde gewesen, sondern hätten allesamt auch selbst kräftig davon profitiert. Umgerechnet zwischen 120.000 und 200.000 DM soll den Ressortchefs selbst monatlich zugeflossen sein. Unter den damit angeschuldigten fünf Innenministern war auch der derzeitige, Nicola Mancino, und eben Scalfaro, der von 1983 bis 1987 amtierte. Daß die Vorwürfe mittlerweile nicht nur als billiges Ablenkungsmanöver abgetan werden, rührt daher, daß die Geheimdienstler umfangreiche Dokumentationen vorgelegt haben, darunter nicht nur Fotokopien, sondern auch von Ministern abgezeichnete Quittungsoriginale. Belege, die laut Amtsvorschrift jeweils nach drei Monaten vernichtet werden sollten, die von den Veruntreuern aber wohl vorausschauend aufgehoben worden waren.

Dazu aber gab Scalfaro nur von sich, er wolle „möglichst schnell wissen“, wessen man ihn „denn genau anschuldige“. Seine bisherige Verteidigungslinie, nach der die Geheimdienstler nicht glaubwürdig seien, weil selbst in Veruntreuungsverfahren verwickelt, wird wohl nicht reichen. Schließlich hat Italien gerade in den letzten Jahren eine wahre Kultur des „Pentitismus“, der Strafreduzierung bei Geständigkeit, aufgebaut. Und da wurde selbst Leuten, die zahlreiche Morde auf dem Gewissen hatten, immer noch mehr geglaubt als den von ihnen Angeschuldigten.

Die Staatskrise ist in lichterlohes Feuer übergegangen. Werner Raith