Ein Ungläubiger unter „Spinnern“

■ Im „Mykonos“-Prozeß verstrickt sich der Angeklagte Atris beim Versuch, ein rosiges Bild von sich zu malen

„Ich spreche gerne aus“, so erklärte am gestrigen vierten Verhandlungstag des „Mykonos“-Prozesses der Verteidiger Ülo Salm, „was alle denken.“ Er stellte den Antrag, den Vater seines Mandanten Mohamad Atris zu laden, damit dieser bekunde, daß er im Frühjahr 1989 von der Hisbollah entführt worden ist. Damit wollte Salm entkräften, daß Atris in irgendeinem Zusammenhang mit der islamischen Fundamentalistentruppe stehe.

Während die Anklageschrift bei den übrigen Angeklagten von einer eindeutigen Karriere bei der Hisbollah oder den Amal-Milizen ausgeht, schweigt sie sich über Atris' mögliche extremistische Vita aus. Der Libanese ist beschuldigt, einem der Attentäter einen Paß besorgt zu haben, nachdem er zunächst dazu auserkoren worden sei, das Fluchtfahrzeug zu fahren. Ihm droht eine Verurteilung wegen Beihilfe zum Mord. Neben dem Hauptbelastungszeugen Youssef Amin ist er der einzige Angeklagte, der sich zu einer Aussage bereit erklärt hat.

Allerdings waren seine Ausführungen der letzten beiden Tage davon geprägt, ein möglichst unbedarftes Bild der eigenen Person zu geben. Er gehöre, so erklärte er dem Gericht, weder der Hisbollah noch der Amal an, er sei überhaupt nicht religiös. Er sei jedoch von einer linken „nationalen libanesischen Bewegung“ aufgefordert worden, an ihren Kämpfen teilzunehmen – was er verweigert habe. Die Entführung des Vaters sollte ihn entsprechend unter Druck setzen. Um den Kriegswirren zu entgehen, sei er mit seiner Familie nach Deutschland gekommen und habe in Berlin Asyl beantragt. Hier lernte er auch den Mitangeklagten Amin in einer Moschee kennen. Der machte ihn kurze Zeit später mit dem als Todesschützen angeklagten Abbas Rhayel bekannt. Die drei fuhren drei Wochen vor dem Attentat nach Baden-Württemberg zu einer Schiiten-Feier. Diese Anhäufung religiöser Aktivitäten fand die Bundesanwaltschaft seltsam, bei einem Menschen, der jegliche Gläubigkeit von sich weist. Doch Atris sah in der Schiiten-Feier lediglich ein politisches Treffen von ein paar „Spinnern“. Vom Attentat am 17. September will er erst aus der Zeitung erfahren haben. Atris war drei Wochen später verhaftet worden, nachdem er Rhayel mit einem Paß, der das Bild seines Bruders trug, versorgt haben soll. Zu diesen Vorwürfen wird er in der Verhandlung am kommenden Donnerstag vernommen werden. Dieter Rulff

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