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Neues vom Ende der Welt

Geschenke für die Irianesen, moderne Synthetikkleider und eine Vielfalt von Missionskirchen: Eines der„ letzten Paradiese“ wird zum „lost paradise“. Eine Reise durch das von Indonesien annektierte West-Neuguinea  ■ Von Albrecht G. Schaefer

Seit fünf Tagen klettern wir über Berghänge, hangeln uns durch Jahrmillionen alten Urwald. Wir stolpern über Wurzelgewirr, prüfen bei jedem Schritt den Untergrund aus morschen Stämmen, trinken aus kristallklaren Bächen. Im Schutz von Felsvorsprüngen, unter einem Dach aus Farn- und Bananenblättern schlafen wir, verwirrt von der gewaltigen Natur. Jeden Morgen wundern wir uns, wann das angekündigte Dorf nun endlich in Sicht kommt.

Zwei große Schweine, die plötzlich durchs Unterholz brechen, sind die Vorboten menschlicher Besiedlung. Verängstigt durch fremden Schweißgeruch, fliehen sie aufgeregt grunzend wieder ins Dickicht. Kurz darauf treten ein paar kleinwüchsige, fast nackte Männer auf die Lichtung. Alle haben Pfeil und Bogen geschultert, einer trägt ein erlegtes Opossum. Ihr einziges Kleidungsstück ist ein Penisfutteral aus getrockneter Kalebassenschale.

Mit unseren Trägern unterhalten sich die Jäger leise. Ein Lächeln, als sie erfahren, daß wir eine Nacht in ihrem Dorf verbringen wollen. Der Weiler aus etwa zehn Rundhütten belebt sich im Nu. Kinder starren uns an und flüchten zwischen die Beine ihrer Mütter. Selbst die Männer reagieren mit zurückhaltender Neugier. Müde und hungrig lagern wir vier Weißen mitten im Männerhaus. Wie Invasoren, mit einer Menge Gepäck, das die halbe Hütte in Beschlag nimmt.

Es ist das Haus, das außer uns, den unerwarteten Ehrengästen, nur initiierte Männer betreten dürfen. An der rußschwarzen Wand hängen Schweinekiefer aufgereiht, Symbole für Wohlstand und Ansehen, und Handtrommeln und Muschelketten für das nächste Tanzfest. Im verrauchten Rund glimmt das Feuer. Tag und Nacht. Licht und Wärme sind kostbar wie der Regen, der auf das Dach aus Rindenstücken prasselt. Tradition dominiert das Leben der Jalimek, hier in Irian Jaya, das wir am Ende der Welt wähnen.

Für die indonesische Regierung war Neuguinea nicht so abgelegen. Nach dem Krieg gegen die Holländer hatten sie die Westhälfte der Insel 1963 unter höchst zweifelhaften Umständen annektiert und als „Glorreiches Irian“ zur östlichsten Provinz ihres riesigen Staates erklärt. Das 411.000 Quadratkilometer große, von Gebirgen, Sumpfebenen und Dschungel bedeckte Gebiet ist auch jetzt noch, dreißig Jahre später, eine vorwiegend unwegsame, aber auch vielversprechende Region. Die „primitiven Kulturen fernab der Zivilisation“ werden von verschiedenen Missionskirchen aufgesucht. Bodenschätze, deren Ausmaße noch kaum erforscht sind, und die uralten Wälder haben multinationale Firmen ins Land gelockt. Und als adventure country preisen die Touristikbehörden das last paradise an, das dann bald zum lost paradise wird.

„Wie in Afrika will ich Touristen in Zebra-Jeeps herumchauffieren. Aber hier erleben sie keine wilden Tiere, sondern exotische Menschen! Eingeborene, mein Volk!“ Zehn Jahre ist es her, daß mir der aus Java stammende Bürgermeister des Verwaltungspostens Jiwika im nördlichen Baliemtal von seinem Plan erzählt hatte. Welch ein Glück für „sein Volk“, die Dugum Dani, daß der ehrgeizige Beamte in seine indonesische Heimat zurückbeordert worden war, bevor er den Wahnsinn vom Wildmenschen- Park realisieren konnte. Damals, nach zahlreichen Massakern an den Papuas, hatte man sich in Jakarta vorgenommen, Irian Jaya in nationale, großspurige Projekte einzuspannen. Besonders die „Transmigrasi“, die staatliche Umsiedlungspolitik, die die rapide wachsende Bevölkerung der 13.000 Inseln von derzeit 180 Millionen Menschen auf dünnbesiedelte Gebiete verteilen will, hat West-Neuguinea im Visier. Die Tatsache, daß in dem Gebiet, wo nur zwei Millionen Irianesen leben, für gut die Hälfte der 90 Millionen Javaner Platz wäre, hatte auch Präsident Suharto beeindruckt.

Die Entwicklung der rückständigen Provinz ist zur nationalen Herausforderung geworden. Nur wenig Infrastruktur haben Holländer und Missionare aufgebaut. Noch heute gibt es gerade mal 600 Kilometer befestigte Straßen. Dafür überzieht das Land ein relativ enges Netz von fast 300 Flugplätzen, meist nicht mehr als holprige Graspisten. In jahrtausendelanger Isolation zwischen bis zu 5.000 Meter hohen Bergen, versteckt in Flußlabyrinthen, haben die Menschen über 240 verschiedene Sprachen hervorgebracht. Verwandte und doch unabhängige Kulturgruppen, oft nur wenige hundert Mitglieder umfassend, sind entstanden. Die heutigen „Irianesen“, also neben den Papuas die Küstenbewohner mit melanesischen und polynesischen Vorfahren, sollen sich nun in das indonesisch-javanische Reich integrieren.

Bald nach der Annexion hatte sich Widerstand geregt. Seit 1965 kämpft die OPM („Organisasi Papua Merdeka“/Freiheit für die Papua-Bewegung) gegen die neue Herrschaft. Wer heute die kaum zulässige Frage nach ihr wagt, erhält von offiziellen Stellen höchstens die Antwort, daß sie nicht mehr als ein Haufen von Banditen sei. Nach wie vor ist das wenig realistische Ziel der Freiheitskämpfer die Selbstverwaltung des westlichen Neuguinea, das Ende der Fremdbestimmung durch Indonesien. Hin und wieder erbeuten sie bei Überfällen moderne Waffen, auch aus dem Ausland sollen sie Ausrüstung erhalten. Doch meistens verlassen sie sich auf Knüppel, Pfeil und Bogen. Bis vor einigen Jahren glaubten sie sich der Unterstützung durch das unabhängige Papua-Neuguinea sicher. Das Nachbarland steuert inzwischen, nicht ohne Druck seines wirtschaftlichen Schirmherrn Australien, auf Verständigungskurs mit Jakarta. Irian-Flüchtlinge werden verhaftet und an die indonesische Polizei ausgeliefert.

Nur einmal hatte die OPM weltweite Aufmerksamkeit erregt: 1984 waren ein Schweizer Missionspilot und zwei Passagiere entführt worden. Die Guerilleros hatten die beiden Indonesier mit Pfeilen erschossen, den Piloten jedoch wieder freigelassen. Dann waren noch mehr Truppen nach Irian verlegt und viele Gebiete für Ausländer gesperrt worden. Gleichzeitig hatten Siedler massenhaft von Irian Besitz ergriffen. In den Jahren 1984/85 waren mit dem Transmigrasi-Plan 275.000 Kolonisten aus Java, Sulawesi, Bali und den Molukken gekommen. Eine Zahl, die die Regierung in Papua-Neuguinea derart beunruhigt hatte, daß sie in Jakarta vorstellig geworden war.

Die politischen Spannungen zwischen den beiden Hälften Neuguineas haben nachgelassen, Unterdrückung und Bevormundung bestehen für die Papua-Bevölkerung im Westteil fort.

Die Folgen des Kulturwandels zeigen sich besonders im Baliemtal des Hochlandes. Entlang der Trasse, die einmal die „Trans- Irian“, eine Nord- Süd-Straßenverbindung werden soll, haben die Behörden akkurat ausgerichtete Holzhütten mit Blechdächern errichten lassen. Als „Neue Heimat“ für die Dani, die man so besser kontrollieren und von ihren wehrhaften Traditionsdörfern isolieren will. Die meisten der Baracken sind leer und halb verfallen. Hintendran haben die Dani-Familien ihre gewohnte Rundhütte gebaut. Deren Geborgenheit, Wärme und Sicherheit kann kein Bretterkasten mit Fenster, Tisch und Bettgestellen ersetzen. Die erzwungene Abkehr vom Männerhaus und das enge Zusammenleben der Geschlechter wirken sich nachteilig auf die Sozialstruktur aus. Das alte Entscheidungssystem bröckelt. Die Geburtenrate ist merklich gestiegen, seitdem die fehlende Distanz zwischen Mann und Frau auch deren dreijährige Sex-Abstinenz nach einer Geburt aufzuheben beginnt.

Auch in Irian drängt sich indonesisch-islamischer Sittenkodex durch Hemd und Hose auf. Mitte der siebziger Jahre wurden sie tonnenweise im Hochland verteilt, mit dem Regierungsbefehl, die Kleider immer dann zu tragen, wenn Verwaltungsposten besucht werden. Anfangs unterstützten auch die Missionskirchen diese Aktion. Bis sie sich als völlig ungesund herausstellte. Denn die seit Urzeiten nur an spärliche Naturfasern gewöhnten Dani, Yale oder Mek, die sich gegen Kälte und Ungeziefer notfalls mit Schweinefett einreiben, hatten keinerlei Erfahrung mit Baumwoll- oder Synthetikkleidern. In Unkenntnis angebrachter Pflege liefen sie nun in verdreckter, zerlumpter Wäsche herum, holten sich Hautinfektionen und Erkältungen. Schließlich mußten auch Jakartas Beamte die strikte Kleiderordnung revidieren. Doch das Nachrücken indonesischer Siedler und smarter Händler, die auf Fortschrittsglauben aufbauende Schulerziehung helfen mit, die Bevölkerung in „moderne“ und „hinterwäldlerische“ Menschen aufzuteilen. Bunte Shorts, Baseballmützen, Sportschuhe und Sonnenbrillen gehören mittlerweile zum Baliemtal wie die „Bemos“, die indonesischen Sammeltaxis, die mit plärrendem Kassettenrecorder die Fahrgäste aus den Dörfern locken.

Mit indonesischer Konzession holzen etliche internationale Firmen den Regenwald ab. In einem Ausmaß, das erst vor kurzem der World Wide Fund for Nature (WWF) angeprangert hat: Indonesien hat nach Brasilien die größten Tropenwaldbestände der Welt – und vernichtet davon jährlich etwa eine Million Hektar!

„Das Jahr, als die Bibel zu uns kam ...!“ Wie an die große Erleuchtung aus düsterem Steinzeit-Dasein scheinen sich die Yali-Einwohner des Hochlands um Angguruk und Kosarek an das Eintreffen des ersten Missionars erinnern zu wollen. Siegfried Sollner war es gewesen, ein protestantischer Schwabe, der 1963 den Airstrip anlegen ließ. Ein großes Kitschgemälde in der Bretterkirche von Angguruk hält den historischen Augenblick fest, eine Nachbargemeinde heißt Erika, zu Ehren seiner Frau. Judas, Salomon, Johannes oder Hermanus – mit der Taufe dürfen die Papuas biblische Namen annehmen. Verlegen und schaudernd erzählten die Jüngeren unter ihnen, daß ihre Eltern damals noch Bewohner feindlicher Dörfer – und auch Missionare – aufgegessen hatten.

Stolz dagegen erklärt mir Sollners Nachfolger, ebenfalls aus Deutschland, die Ausdehnung des neuen Missionsgebietes im Land der Mek auf der Karte. Es ist scharf abgegrenzt vom Territorium der katholischen Konkurrenz.

Auch in Neuguinea haben die christlichen Kirchen eine Vorreiterrolle inne, was Kolonialisierung und Entwicklung angeht. Ihre anfängliche Sympathie mit den Zielen der OPM haben die katholischen und protestantischen Kirchenmänner abgelegt. Sie verurteilen nun deren gewalttätige Aktionen, die nicht selten auch unschuldige Zivilpersonen treffen. Teilweise haben sie sich aber auch mit Indonesien arrangiert, weil sie das Wohlwollen der Regierung für die Fortsetzung ihrer Arbeit nötig haben. So sind wiederholt Missionsflugzeuge im Auftrag und mit Ausrüstung der Beamten unterwegs. Ein Verstoß gegen den seelsorgerischen Grundsatz, worüber sich selbst die Piloten ärgern.

Am Tag, als wir das kleine Dorf der Mek verlassen, bringt ein Mann die frohe Botschaft: Im Nachbartal ist ein Hubschrauber gelandet. Er gehört dem SIL, dem „Summer Institute for Linguistics“. Die in den USA gegründete religiöse Gesellschaft leistet wahre Pionierarbeit. Sie will die Sprachen möglichst vieler, noch so kleiner Völker studieren, um diesen das Wort Gottes zugänglich machen zu können. Um das Vertrauen der Mek zu gewinnen, hat der Pilot eilig Säcke mit Kleidern und knallroten Acryldecken, etliche Spaten und Hacken ausgeladen. Dann schwirrt er wieder in die Wolken hinauf, nicht ohne vorher seine Kollegen mit weiteren Geschenken angekündigt zu haben.

Als wir vom Berg herabsteigen, hat auch in diesem Tal ein neues Zeitalter begonnen. Aufgeregt rennen die Leute herum und zeigen sich gegenseitig die vom Himmel geflatterten T-Shirts. Über Penisköchern und Grasröcken prangt der American way of life: „Jesus Loves You“, „Join the Navy“ und „Rambo III“.

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