: Albaniens Sozialisten fühlen sich verfolgt
■ Die Nachfolgepartei der Kommunisten hat noch 100.000 Mitglieder
Tirana (taz) – Für die Sozialisten Albaniens ist alles etwas bescheidener geworden. Doch das Gebäude, mit dem sich die Nachfolgepartei der Kommunisten heute begnügen muß, ist immerhin ein dreistöckiger moderner Bau in bester Lage. Auch an Selbstbewußtsein fehlt es nicht. Die Partei hat noch 100.000 Mitglieder. Nach ihrer schweren Niederlage bei den Parlamentswahlen vor 16 Monaten konnten die Sozialisten bei den letzten Kommunalwahlen wieder zulegen. Sie gewann 53,6 Prozent der Sitze und stellt jetzt 170 der 314 Bürgermeister Albaniens. „Wir sind keine unerhebliche Größe in diesem Land“, sagt Fredirj Sinanji, ein führendes Mitglied der Partei.
Eine junge Garde sei nachgerückt, die nicht mehr mit dem alten Bewußtsein belastet ist, die Reformer seien jetzt am Zuge, merkt er stolz an. Auch Vasil Quereta, ein Mitglied des Parteivorstands, gibt sich als jemand zu erkennen, der, obwohl während der Diktatur in der Universität als Philosoph tätig gewesen, gleich zu Beginn des Reformprozesses die alten Positionen verlassen habe. Zwar wird auch von den Reformern die ökonomische Roßkur der regierenden „Demokratischen Partei“ als zu hart empfunden, doch prinzipiell sei mit der Etablierung eines Mehrparteiensystems, mit dem Pluralismus eine neue, positive Ära angebrochen. Den sozialen Absturz für viele Menschen möchte man jedoch begrenzt wissen. „Die Arbeiterklasse existiert nicht mehr, weil die Industrie praktisch verschwunden ist, die Arbeitslosenrate ist dreimal so hoch wie in Polen und liegt über fünfzig Prozent“.
Die kleinen und großen Sticheleien der regierenden Partei gegen die Sozialisten gehören jedoch längst nicht der Vergangenheit an. „Einige führende Mitglieder der Partei sind verhaftet, wie der bekannte Professor Fajudin Hoxha oder der Journalist Jdajet Begiri, der sechs Monate in Haft verbringen muß, weil er den Präsidenten Sali Berisha beleidigt haben soll“, sagt ein Parteisprecher. Weit schwerwiegender noch sei der Fall des ehemaligen Übergangspräsidenten und Vorsitzenden der „Sozialistischen Partei“, Fatos Nano. Dieser ist angeklagt, weil er acht Millionen Dollar veruntreut haben soll. „Doch die ganze Anklage steht auf tönernen Füßen, sie wurde seit dem 30. Juli, seit dem Tag, an dem Nano verhaftet wurde, drei Mal geändert.“ Es handele sich darum, den Parteiführer der Sozialisten zu diskreditieren. Zwei Staatsanwälte wären nämlich zurückgetreten, weil sie die Anklage nicht vertreten wollten und erst der dritte Staatsanwalt habe die Verhaftung angeordnet, nachdem er nur einen Tag lang die Akten studieren habe können.
„Dies ist politische Rache“, sagen die beiden Parteimitglieder. Doch Sali Berisha, der Präsident, weist solche Vorwürfe weit von sich. „In Italien mußten zwei Minister wegen dieses Skandals, wegen der acht Millionen Dollar in Albanien, ihren Hut nehmen. Das ist kein politischer Prozeß.“ Die Justiz werde diesen Fall entscheiden. Schon Anfang November soll der Prozeß beginnen. Erich Rathfelder
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen