"Solche Schweinerei nicht nötig"

■ Dokumentation: Die Aktivisten der RAF weisen den Vorwurf zurück, für die Freiheit der RAF-Gefangenen einen Deal geplant zu haben / Der Bruch ist unüberbrückbar

An die Gefangenen aus der RAF, die sich dahinter gestellt haben

für die Auseinandersetzung aller, die mit dem Kampf der RAF und der Gefangenen verbunden sind

Es hat nie irgendwelche Geheimverhandlungen zwischen uns und dem Staat gegeben. Es ging in unseren Überlegungen nie darum, den bewaffneten Kampf für die Freiheit der politischen Gefangenen zu „verdealen“. Alle Behauptungen, die das Gegenteil suggerieren, sind Dreck, unwahr.

Richtig ist, daß wir am 10.4.92 die Eskalation zurückgenommen haben, da mit den globalen Veränderungen Ende der 80er Jahre die Zentralperspektive der Revolutionären Linken zusammengebrochen war und damit auch die Funktion des bewaffneten Kampfes in der BRD in der strategischen Vorstellung der vergangenen Epoche. Ausdruck dieser Entwicklung waren auch die Grenzen, auf die wir gestoßen sind. Die gesamte Entwicklung verdeutlichte uns, daß eine kritische Reflexion der Kämpfe der vorangegangenen Epoche, d.h. auch des Kampfes der RAF, dringend notwendig ist. Eigentlich banalste revolutionäre Selbstverständlichkeit.

In dieser Phase, in der es vordringlich um das Herausfinden neuer Wege und Gedanken für den Umwälzungsprozeß ging und geht, wollten wir auch, daß die Freiheit der politischen Gefangenen erkämpft wird. Dazu haben wir immer gesagt, daß das nur in einem Kampfprozeß durchgesetzt werden kann.

Es entspricht nicht unserer Verantwortung aus 23 Jahren Kampf der RAF, die RAF unter allen Umständen ins nächste Jahrtausend zu retten. Wir waren offen für alle möglichen Formen und Transformationsgedanken, je nachdem, was wir und alle, die sich an der Neubestimmung revolutionärer Politik beteiligen, als das Beste für den zukünftigen Prozeß für die Umwälzung herausgefunden hätten. Und diese Bestimmung der Mittel und Organisationsformen ist nur möglich aus der neu zu entwickelnden strategischen Vorstellung. Das hat nichts mit der Aufgabe der Option auf bewaffneten Kampf zu tun.

Die Freude von Staat und Kapital über den politischen Todesstoß, der Eure Erklärung gegen die RAF sein sollte, kommt zu früh.

Wir werden solange die Verantwortung, die wir als RAF haben, tragen, bis das Neue herausgefunden worden ist. Und ob das dann weiter RAF heißt oder die Transformation der RAF innerhalb einer Neuformierung der revolutionären Linken, ist uns heute völlig egal. Hauptsache, es entspricht den Notwendigkeiten und Vorstellungen für den Umwälzungsprozeß.(...)

Wir sagen ausdrücklich: Die Gespräche, die die Celler Gefangenen mit Ströbele hatten bzw. mit I. Bubis führen wollten – in dem Inhalt, wie Karl-Heinz das in der taz vom 1.11.93 erklärt – standen in der Tat nicht im Widerspruch zu unseren Vorstellungen. (...)

Hinter Eurer Erklärung steckt miese Taktik, sonst wäre es unmöglich gewesen, daß Ihr heute eine solche Initiative von Gefangenen als Deal mit dem Staat denunziert, obwohl doch einige von Euch eine ganz ähnliche Initiative überlegt hatten, in der Zeit um 90 rum, als in Texten von Euch von „Freunden der Vernunft“ die Rede war, was sich ja auch auf Typen aus der Wirtschaft bezog. Das erfuhren wir damals viel später, sozusagen „durch Zufall“.

Ihr wolltet damals nichts anderes als Bewegung in den Prozeß bringen, in dem es Euch auch um Eure Freiheit ging und darum, neue Ausgangsbedingungen für Euch, für uns, wie für alle, die neue Bestimmungen suchten, durchzusetzen. Auch dafür sollten wir den bewaffneten Kampf zurücknehmen, allerdings ohne öffentlich zu sagen, daß das in einem Zusammenhang steht.

Wir unterstellen Euch nicht, daß es Euch um den Deal mit dem Staat und den „Platz im Reich“ ging. Ihr solltet das gegenüber Birgit, Wolfgang, den Celler Gefangenen und uns auch lassen.

Wie wir heute wissen, habt Ihr das damals unterlassen wegen mangelnder Aussicht auf Erfolg, und weil es damals mit unseren politischen Vorstellungen zusammen nicht möglich gewesen wäre. Eure Empörung ist heuchlerisch. Was Ihr heute auf dem Markt als Deal feilbietet, den Gesamtlösungsgedanken – die Illegalen eingeschlossen – kam auch von Euch. Von einigen von Euch sind wir verdammt, verflucht und gehaßt worden, weil wir das nicht „rechtzeitig“ einsehen wollten. Selbstverständlich hattet Ihr vorgesehen: möglicherweise erst mal Exil.

Zur Vorstellung einiger von Euch gehörte auch, daß wir eine Erklärung abgeben: daß die RAF den bewaffneten Kampf einstellt. Damals hieß es: Ansonsten ist jeder Gedanke an die Freiheit der Gefangenen Illusion. Wir sollten uns zurückziehen, dazu würde der Staat „Danke“ sagen und sonst nichts – was dann komme, wisse niemand. Das war allerdings nie unsere Vorstellung, weil wir davon ausgegangen sind, daß wir nur in einem Kampfprozeß neue Ausgangsbedingungen durchsetzen können, was auch heißt, in einer Zeit bewaffnet zu intervenieren, in der die strategische Vorstellung noch nicht erarbeitet ist, wenn es die Entwicklung von uns verlangt.

Ihr werft uns vor, mit unserer Drohung und der Sprengung des Weiterstädter Knastes hätten wir „die bewaffnete Aktion zur Ware gemacht“. Sind Eurer Meinung nach Aktionen nur zur Begriffsbildung zulässig? Nur abstrakte Politik? Ohne jeden Gebrauchswert? Seit wann ist es Eurer Meinung nach verwerflich, mit Aktionen Druck gegen den Staat auszuüben? Ihr wißt genausogut wie wir, daß die bewaffnete Aktion in ihrem politischen Inhalt stimmen muß, um den Druck auf den Staat für eine Entwicklung, die es zu erkämpfen gilt, ausüben zu können.

Das Verhältnis, das Ihr zu revolutionärer Politik und zur bewaffneten Intervention heute vermittelt, ist dermaßen abstrakt und tot, wie es uns vollkommen fremd ist, und wie wir es von Kämpfenden auf der ganzen Welt nicht kennen.

Auch wenn Ihr die Lüge tausendmal wiederholt, wird sie nicht wahr. Wer die Aktion gegen den Weiterstädter Knast unpolitisch nennt, muß einen Knall haben. Ihr solltet mal INHALTLICH begründen, wieso Ihr mit einer Intervention nichts anfangen könnt, die einen Knast zerstört, der ein in Beton gegossenes Spiegelbild der Entwicklung ist, wie sie die Herrschenden anpeilen und durchzusetzen entschlossen sind; gegen ein Projekt, das für den militärischen Umgang des Staates mit den sich forcierenden Widersprüchen in dieser Metropolengesellschaft steht; gegen ein Projekt, das für den staatlichen Rassismus und die wissenschaftliche Zerstörung menschlicher Identität steht. Das Wesen dieses Projekts und die Beweggründe, es zu zerstören, waren untrennbar mit unserer Absicht verbunden, Druck gegen den Staat für Eure Freiheit zu entwickeln. Wir wissen allerdings, daß es welche unter Euch gibt, die schon damals diese Aktion verurteilt haben, scheinbar wegen der Tatsache, daß viele Menschen – auch hier – damit etwas verbinden können. (...)

„Wenn gleichzeitig Angriffe der Guerilla laufen, wird hier keine Mobilisierung für die Freiheit der Gefangenen Fuß fassen können...“ (aus einem Brief von Brigitte, Frühjahr 93), wenn Ihr denkt, daß die Existenz der RAF Eurer Freiheit entgegensteht, und Ihr mit der Erklärung vom 28.10. das Ziel habt, die RAF endgültig vom Hals zu haben – dann solltet Ihr das auch so offen sagen. Anstatt so zu tun, als wäret Ihr die Gralshüter der Option des bewaffneten Kampfes oder der revolutionären Intervention in der Metropole und könntet den Trennungsstrich zur RAF ziehen, moralisch unbefleckt und als Opfer der angeblich verräterischen Machenschaft von uns, Birgit und den Celler Gefangenen.

Wenn Ihr offen und ehrlich reden würdet, hättet Ihr solche Schweinereien nicht nötig. Und Ihr könnt es Euch auch sparen, ein Verhältnis zu bewaffneten Aktionen auf uns zu projizieren, das aus der Gruselkammer kapitalistischer Warenwelt kommt und von dem IHR Euch mal in Eurer gesamten Politik befreien solltet: „Wenn sie (RAF) jetzt ankündigen, den Schritt vom April 92 praktisch aufzuheben, begründet mit unserer Gefangenensituation – dann tragen wir das nicht mit.“ (Eva) als wäre es unser Problem gewesen, daß wir was HABEN/BESITZEN wollten für uns. In dem Stil, die RAF – mordlüstern wie sie ist – braucht die Gefangenen, weil – unpolitisch, wie sie ist – ihr sonst zur Entwicklung nichts einfällt. (...)

Es gab in der letzten Zeit einen neuen Anlauf zur Mobilisierung für Eure Freiheit von GenossInnen mit einer neuen Haltung, die wir befreiend fanden gegenüber der alten Geschichte von Fraktionierungen, der Unfähigkeit, mit inhaltlichen, politischen Widersprüchen umzugehen. Das hat die Aussicht darauf offen gemacht, daß es tatsächlich einmal zu einer ernsten, politischen Auseinandersetzung kommen kann. Wir fanden die Entscheidung der GenossInnen richtig, sich nicht auf die Spaltereien einzulassen. Sie gehen statt dessen von den tatsächlichen Widersprüchen in den politischen Vorstellungen auf unserer Seite aus. Wir denken, daß das ein Selbstbewußtsein ist, das absolut notwendig ist, in einem Prozeß, in dem es um die Neubestimmung revolutionärer Politik geht. Eure Erklärung vom 28.10. ist auch gegen diese Haltung gerichtet. Sie ist Ausdruck eines dumpfen Machtkampfes. Sie drückt ein Festhalten an überholten Strukturen aus, in denen es für Euch legitim ist, bei inhaltlichen Widersprüchen GenossInnen der Kollaboration mit dem System zu beschuldigen und ihre moralische Integrität in den Dreck zu ziehen. Letztlich seid Ihr diejenigen, die sie damit verlieren.

WIR HALTEN ES FÜR NOTWENDIG, MIT D I E S E R HINTERLASSENSCHAFT EINEN BEWUSSTEN BRUCH ZU MACHEN!

Wir sagen Euch, daß diese „ganz neue Entscheidung“, von der Ihr sprecht, die auf Lügen, Dreck und Unehrlichkeit Euch selbst gegenüber aufgebaut sein soll, mit Sicherheit nicht dazu führen wird, „daß revolutionäre Politik hier... wieder Fuß fassen können wird.“

Wir fordern Euch auf – und das ist uns sehr ernst – jetzt einen Moment innezuhalten. Kommt zur Besinnung! Auch wenn Ihr dabei über Euren Schatten springen müßt. Wir wissen, daß Euch das unser Brief nicht einfach macht, aber Ihr könntet verstehen, daß Ihr uns keine andere Möglichkeit gelassen habt, als nun das zu sagen, was wirklich ist.

Es gibt Vertrauen, daß keine Mauern brechen können. Karl- Heinz, Lutz, Knut, Birgit und wir werden mit dieser Spaltung umgehen können, aber wir wollen sie nicht!

Vielleicht ist dies – wenn überhaupt – die letzte Möglichkeit für was anderes.

Es liegt nun an Euch.

Rote Armee Fraktion, 2.11.1993

(gekürzte Fassung)