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“Die Bremer glucken so gern“

■ Soziologenerkenntis: Es gibt eine Bremer Mentalität/ Hat die was mit der hiesigen Wirtschaftskrise zu tun?

Gibt es den typischen Bremer, der sich eindeutig vom Stuttgarter unterscheidet? Na klar, sagen viele. Ein bißchen spröd ist er zum Beispiel. Doch dann gehen die Meinungen bereits auseinander: Sind die BremerInnen eher weltoffen oder nicht vielmehr verbohrt? Der Bremer Wissenschaftler Günter Tempel von der Kooperationsstelle Universiät/Arbeiterkammer hat Umfragedaten aus Stuttgart, Bremen, dem Ruhrgebiet und Niederbayern ausgewertet. Nach dem Ehrgeiz wurde gefragt, nach der Anzahl der FreundInnen, den Erwartungen an die Arbeit...

Ergebnis: „Die Bremer glucken gern“, sagt Tempel. Jedenfalls sind sie viel häufiger Mitglied in Vereinen und Parteien als selbst in Niederbayern. „Es gibt da ein richtiges Nord-Süd- Gefälle.“ Gefragt wurde auch, wie groß der Kreis der Leute ist, auf die man sich verlassen würde. Die BremerInnen haben offenbar wesentlich mehr innige Freundschaften als die StuttgarterInnen. Ohnehin sind den HanseatInnen Familie und Verwandtschaft viel wichtiger als den Süddeutschen. Aber gelten nicht die BremerInnen als distanziert? „Doch — aber wenn man so viel gluckt, schließt man sich eben nach außen mehr ab“, erklärt Tempel.

Dafür sind die BremerInnen im Durchschnitt liberaler als die Leute weiter südlich. Unbedingt, finden sie, soll man auch seine Meinung öffentlich sagen dürfen, wenn die Mehrheit was anderes denkt. In manchen Punkten allerdings ist man auch radikaler als anderswo: Viele sagten: „Ja — es gibt in jeder demokratischen Gesellschaft Konflikte, die mit Gewalt ausgetragen werden müssen.“

Während übrigens die StuttgarterInnen kein gesellschaftliches Problem für besonders dramatisch halten, die NiederbayerInnen den Zwist zwischen jung/alt oder Männern/Frauen als den wesentlichen erachten, sehen die BremerInnen das Übel der Welt ganz woanders angesiedelt: im Interessenskonflikt zwischen Kapitalisten und Arbeiterklasse.

Es gibt also Bremer Eigenschaften. Ob sich die allerdings auf die wirtschaftliche Entwicklungsfähigkeit auswirken, ist nicht gesagt. Seit einigen Jahren haben die Ökonomen die sogenannten „weichen“ Wirtschaftfaktoren entdeckt, die Mentalität zum Beispiel. Schnell mit dem Urteil ist man besonders in Bezug auf die Ex-DDR: Kann ja nichts werden mit denen da drüben, so autoritätsgläubig und unselbständig wie die sind.

Bonner WissenschaftlerInnen wollen gar herausgefunden haben, daß Gegenden, wo soziale Beziehungen besonders viel gelten, es deswegen wirtschaftlich zu nichts bringen. Sowas findet der Bremer Wissenschaftler schlichtweg „naiv“. Eher umgekehrt: Da wo viele arbeitslos sind, schließt man sich enger zusammen.

Nachdenklich allerdings stimmt, daß so viele BremerInnen folgende Aussage vehement verneinten: Große Einkommensunterschiede und soziale Unterschiede bieten einen Anreiz für persönliche Leistungen. Die Bremer Malaise hat für den Bremer Soziologen Tempel eher andere Grüne: Angefangen hat sie damit, daß in den 70er Jahren wegen der Ölkrise der Tankerbau wegbrach. Außerdem könnten die werktätigen BremerInnen nichts für Werkschließungen, weil die ganz woanders beschlossen werden — zum Beispiel bei Mercedes in Sindelfingen oder bei Dasa in München.

Tempel hat ein schlagendes Argument gegen die These, daß die Wirtschaft brach liegen muß, wo die Leute personenorientiert handeln: Die NiederbayerInnen identifizieren sich viel weniger mit ihrem Beruf und sind viel weniger konkurrenzorientiert als die BremerInnen — und trotzdem hat gerade Niederbayern in den letzten Jahren ein enormes Wirtschaftwachstum erfahren.

Geradezu zynisch findet Tempel, Mentalitäten in solchem Maß für Wirtschaftskrisen verantwortlich zu machen. Das hieße ja, daß man die ärmlichen Landkreise im Grunde quäle mit der ewigen Regionalförderung — weil der ökonomische Aufstieg einfach nicht ihrer Mentalität entspreche. Das alte Motto läßt grüßen: „Die Neger sind nun mal faul.“ Christine Holch

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