Sanssouci
: Nachschlag

■ Musikalisch heimatlos: "Neue" Musik von Francois-Elie Roulin

„Neue Musik“ stand unterstrichen und in großen, kursiv gesetzten Lettern auf dem Einladungskärtchen, mit dem das Centré Culturel Francais zur musikalischen Vorstellung eines der „jüngsten und vielversprechendsten Talente der ,Nouvelle Musique‘ in Frankreich“ geladen hatte. „Neu“, welch hübsches Adjektiv, das sich seit Erfindung kommerzieller Werbung unter deren Top-Ten-Vokabeln tummelt, ist in der Kombination mit dem Wort „Musik“ aber längst seiner eigentlichen Bedeutung abhanden gekommen, bezeichnet dieser Terminus doch in etwa alles, was seit Schönberg an komponierter Musik entstand. In Frankreich aber mußte ein anderes Wort seine Bedeutung, die eigentlich ebenso mit der Zeit dahingleitet, wandeln: Dort spricht man von „Musique Contemporaine“ und bezeichnet derart als Zeitgenössisches, was doch ebenfalls von längst Verstorbenen rührt.

Am Freitag abend aber war es ein Lebender, der da auf der Bühne stand: François-Elie Roulin; vor sich ein bescheiden klein anmutender Synthesizer, hinter sich in Kinoleinwandgröße eine naiv symmetrische, sich vom schwarz-roten Rand zum zitronengelben Zentrum erhellende Malerei. Und nicht ohne vorher das Publikum freundlich mit einem „bonsoir“ zu begrüßen, löste Roulin seine ersten abgesampelten Klänge per Tastendruck aus. Tief dümpeln als Einleitung die Baßsounds, bevor sich synthetische Streicher draufsetzen und ein paar imitierte Bläser- oder auch Santana-Gitarren-Klänge darüber ihre Linien ziehen.

Nach der Solo-Einleitung aber gesellt sich Steve Shehan mit ethnologisch eingefärbter Perkussion zu den klangseligen Synthesizer-Landschaften, bis schließlich eine Sängerin (S'Ange Suzan Belling) das Trio vervollständigt. Mit üppig verhallender Stimme repetiert sie pentatonische Muster oder versucht, indischen Tonleitern mit charakteristischen Halbtönen Hymnisches abzugewinnen. Das Ganze würzt sie mit operndivahafter Gestik im weißen C&A-Glitzerkleid. Der Schlagzeuger unterdessen bewegt sich Jet-set-artig zwischen den Erdteilen, schüttelt ein südamerikanisches Rasselgerät, klopft auf eine asiatische Trommel oder rührt mit Jazzbesen auf einem afrikanischen Instrument. Und ist dabei längst musikalisch heimatlos geworden.

Roulin indessen nähert sich immer mehr jenen ersten Klängen der ersten kommerziellen Synthesizer-Generation, die auf den Programmwahltasten noch traditionelle Instrumenten-Bezeichnungen, Signum elektronischer Als-ob-Ästhetik, trugen. Und wie die Musik sich da so allmählich in die Imitation der Imitation akustischer Instrumente schleicht, ist es, als ob man hörte, wie etwas zu klingen versucht, als ob es richtige Geigen, Bläser oder ein richtiges Orchester wären – zweistufige Als-ob-Ästhetik.

Und was dann übrigblieb vom Konzert, war neben dem Übersetzungsfehler von „Nouvelle Musique“, womit sicherlich nicht „Neue Musik“ gemeint gewesen sein kann, nur der gute Nachgeschmack des abschließenden Champagner-Empfangs: Kulinarisch läßt sich ein französisches Kulturzentrum selten lumpen. Fred Freytag