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Das Unheil kam von oben

■ Holyfield schlug "Big Daddy" Bowe trotz halbstündiger Unterbrechung der WM-Revanche wegen extraordinärer vorkommnisse außerhalb des Boxringes

Las Vegas (dpa) – Der neue Schwergewichts-Champion Evander Holyfield wußte nicht, ob er lachen oder weinen sollte. Ein verrückter Fallschirmspringer, ein Herzinfarkt und eine schwangere Frau in Not hatten seine gelungene WM-Revanche in Las Vegas gegen Riddick Bowe unvergeßlich gemacht, aber seine überzeugende und taktisch ausgezeichnete Leistung überschattet. „Ich habe mein ganzes Leben lang gegen Rückschläge gekämpft. Heute war keine Ausnahme, aber ich habe meine Mission erfüllt“, sagte der 31jährige nach dem Punktsieg durch Mehrheitsentscheid fast genau ein Jahr, nachdem er seinen Titel an Bowe verloren hatte, „die Geschehnisse außerhalb des Rings sind tragisch und tun mir leid. Ich muß zugeben, daß ich Angst gehabt habe, erstochen zu werden.“

Holyfield sprach vom unrühmlichen Höhepunkt der Veranstaltung. In der siebten Runde um 20.32 Uhr Ortszeit versuchte Fallschirmspringer James Miller, mit einem Minipropeller auf dem Rükken in den Ring zu springen, blieb aber mit seinem Schirm am Ringdach hängen und rauschte wie ein Sandsack in die Zuschauerränge. Dabei verletzte er unter anderem Bowes schwangere Frau Judy, die sofort ins Krankenhaus gebracht werden mußte. 27 Minuten lang wurde der Fight unterbrochen. Bowe und Holyfield standen konsterniert in ihren Ecken, eingewikkelt in mehrere Wolldecken, und beobachteten die bizarre Szene.

Ein Motiv für die ungewöhnliche Tat war nicht bekannt, aber Miller erklärte, zwei weitere Unterbrechungen seien geplant gewesen. Für Bowes Trainer Eddie Futch war das alles zuviel. Der 82jährige brach nach Kampfende mit Herzproblemen zusammen. „Ich war sauer, weil ich den Kampf in die Hand bekam und der Zwischenfall meinen Rhythmus stoppte. Eigentlich haben die Zuschauer zwei Kämpfe über je sechs Runden gesehen“, meinte Holyfield, der bei nur fünf Grad im Freiluftstadion des Caesar's Palace über weite Strecken das Tempo kontrollierte, im Gegensatz zum ersten Duell der beiden geschickt den Infight vermied und den müden Champion immer wieder mit Überraschungsangriffen überrumpelte. Nach der Niederlage in der ersten Auflage von Bowe – Holyfield am 13. November 1992 hatte Holyfield wegen fehlender Motivation und Perspektive seine Karriere beendet. Kurzzeitig. Jetzt will er als Champion der Boxverbände WBA und IBF irgendwann im kommenden Jahr WBC-Weltmeister Lennox Lewis herausfordern.

Als er am Samstagnacht mit Sonnenbrille und Baseballmütze zur Siegerparty marschierte, saß Bowe im Krankenhaus. Bis auf eine Platzwunde über dem linken Auge hatte der entthronte Champion seine erste Niederlage im 35. Profikampf unbeschadet überstanden, aber er wollte bei seiner Frau sein. „Hut ab vor Evander. Es gibt keine Entschuldigung. Er hat besser gekämpft und verdient gewonnen“, so Bowe, der sich immerhin mit 12,5 Millionen Dollar trösten durfte. Holyfield bekam für seinen 30. Erfolg im 31. Fight neun Millionen Dollar.

Fünf Monate lang hatte Bowe nach seinen schwachen Vorstellungen in den Titelkämpfen gegen Michael Dokes und Jesse Ferguson pausiert. So lang wie noch nie zuvor. Sein Leben war süß, das Training danach eine Qual. „Big Daddy“ Bowe hatte von mehr als 300 Pfund abspecken müssen und wog trotzdem 111 Kilo, soviel wie nie zuvor. Der austrainierte Holyfield bestrafte ihn. Abgestempelt zum Trainingsweltmeister sowie Champion ohne Charisma und Schlagkraft, wollte der gläubige Modellathlet aus Houston sein Gewissen reinigen und die Kritiker Lügen strafen. „Ich habe im ersten Kampf Fehler gemacht, weil ich es allen zeigen wollte. Die Dauerkritik an mir hat mich verrückt gemacht. Jetzt ging es darum, noch einmal mein Bestes zu geben, und wenn das nicht gereicht hätte, okay“, meinte Holyfield. Es hat gereicht, und die Genugtuung stand ihm ins Gesicht geschrieben. Sven Busch

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