Macht der Mensch sich auf ewig unsterblich?

■ Der Neurologe Detlef Linke warnt: Unser Weltbild wird aus den Angeln gehoben

taz: Herr Professor Linke, Sie haben in Ihrer Arbeit nun schon viele Gehirne gesehen. Unterscheiden sich die Gehirne eigentlich von Mensch zu Mensch?

Professor Detlef Linke: Die Gehirne unterscheiden sich so, wie sich die Gesichter unterscheiden. Die Zellen sind bei der Geburt schon vorhanden, aber die Vernetzung wird durch die Erfahrung und durch den eigenen Willen geleistet; das heißt, im Gehirn zeigt sich, welchen Bereichen des Leben der Mensch besondere Aufmerksamkeit schenkt.

Heißt das auch, daß das Gehirn das Zentrum unserer Gefühle, unseres Denkens oder gar unserer Identität ist?

In der Hirnforschung sehen wir immer mehr, daß das Gehirn das bedeutendste Zentrum des Organismus ist. Es ist nicht nur Schaltstelle des Denkens, sondern auch der Träger unserer seelischen Kräfte. Daß sich das Gehirn normalerweise nicht ohne das Zusammenspiel mit dem Organismus entwickelt, das dürfen wir natürlich auch nicht aus dem Auge verlieren. Andererseits wird das, was wir als Körpergefühl haben, im wesentlichen im Gehirn verarbeitet. In diesem Sinne ist der Leib auch etwas, was vom Gehirn entworfen wird.

Vor allem die Möglichkeit der Computertechnik haben der Hirnforschung in den letzten Jahren zu einem Boom verholfen. Obwohl Sie selbst Neurophysiologe sind, sind Sie doch skeptisch, was die Entwicklung dieser Wissenschaft anbelangt.

Nun, meine Skepsis richtet sich vor allem auf die Hirnverpflanzungen, die seit 1987 in verschiedenen Ländern durchgeführt werden.

Was versteht man unter Hirnverpflanzungen?

Dies sind, genaugenommen, Hirngewebsverpflanzungen. Aber man spricht ja auch von Butter, wenn es nur ein Stück ist. Bei diesen Hirnverpflanzungen werden zwei verschiedene, getrennte Hirnsysteme zusammengebracht, und zwar das eines Erwachsenen und das eines, in der Regel drei oder vier Monate alten, Föten. Vor allem bei Parkinsonpatienten, bei denen bestimmte Gehirnzentren gestört funktionieren, konnte der Zustand durch die Operation verbessert werden. Man hat ihnen Strukturen aus dem Mittelhirn von Feten eingepflanzt. Dieses Gewebe ist dann auch angewachsen und hat jene Überträgerstoffe freigesetzt, die diesen Kranken fehlen. Es hat in vielen Fällen offenbar auch Vernetzungen gegeben zwischen den eingepflanzten Gewebe und dem Empfängergehirn.

In Ihrem Buch „Hirnverpflanzungen“ fragen Sie provokant, wieviel Hasenhirn eingepflanzt werden muß, um als Hase zu gelten? Wie kommen Sie darauf?

Wir haben einmal mit Informatikern auf dem Computer Gehirngewebeverpflanzungen simuliert. Dabei hat sich gezeigt, daß der Austausch von einigen Zellen auch das Gesamtsystem verändern kann, auch dann, wenn nur wenig ausgetauscht wird, weil es eine dynamische Vernetzung gibt. Insofern kann man hinterher nicht mehr richtig zuordnen: Was ist der Spender oder was das Verhalten des Empfängers. In meinem Buch beschreibe ich ja auch den Fall einer Frau, deren Gesichtszüge aufgrund des Parkinsonschen Leidens seit Jahren erstarrt waren. Nachdem sie von mehreren Feten Gehirngewebe übertragen bekam, besserte sich ihr Zustand. Sie fing an zu lächeln. War es ihr Lächeln oder das des vier Monate alten Feten? Die Frage, wer ist denn wer, wenn jemand mehrere Embryonengewebesystem im Kopf hat, muß man sich einfach stellen.

Das bedeutet, daß sich unsere Vorstellung von Personalität oder Identität dadurch auflöst?

Ja. Worauf ich aufmerksam machen will, ist, daß es hier nicht nur um neue Therapiemöglichkeiten geht, sondern daß diese Therapien, dieser technische Fortschritt, auch unser Weltbild aus den Angeln heben kann. Wenn eine solche Technik verwendet wird, dann sind Bilder von Einheit von Körper und Geist, Dauer der Seele nicht mehr so leicht möglich. Wir haben eben angefangen, Dinge nicht nur außerhalb von uns zu konstruieren, sondern der Konstrukteur konstruiert sich jetzt auch selbst, und zwar in einem möglichst optimierten Sinne.

Der Mensch konstruiert sich aus verschiedenen Bausteinen, macht man sich selbst unsterblich? Ist das ihre Fiktion?

Bisher war ja Unsterblichkeit etwas, was jenseits dieses Lebens liegt. Heute ist dies für viele gar kein Thema mehr. Um so mehr möchten sie ihr Leben verlängern, weil sie auf ein anderes nicht mehr setzen. Viele Formen des Alterns werden dann als Betriebsunfall angesehen, als eine Krankheit, die zu behandeln wäre. Gerade die neurologischen Krankheiten nehmen ja mit zunehmenden Alter rasant zu. Und wenn man das alternde und nicht nur das kranke Gehirn als etwas ansähe, was zu behandeln wäre, zum Beispiel durch den Austausch mit jüngerem Gewebe, dann wäre das ein Weg, das Sterben weiter hinauszuzögern, die erste Unsterblichkeit auf Erden. Interview: Eva Schindele

Delef B. Linke ist Professor für klinische Neurophysiologie und Neurochirurgische Rehabilitation an der Universität Bonn. Kürzlich erschien sein Buch „Hirnverpflanzungen – Die erste Unsterblichkeit auf Erden“, (Rowohlt-Verlag, 332 Seiten, 42 DM).