Bremer Klage als Nagelprobe für Europa

■ Richter am Europäischen Gerichtshof beklagt konservative Anti-Europa-Stimmung in Deutschland

Welche Gerichte sind in Europa wofür zuständig und wie ernst ist es den Deutschen mit der europäischen Einigung? Über diese Frage streiten die obersten Justizbehörden in Luxemburg und Karlsruhe, und ein „Bremer Fall“ könnte ihnen demnächst Gegegenheit zum offenen Bruch geben.

Der Bremer Eckehard Kalanke hatte vor dem Arbeitsgericht gegen den Paragraphen 4 des Bremer Landesgleichstellungsgesetzes geklagt, weil eine Stelle als Sachgebietsleiter beim Gartenbauamt an eine gleich qualifizerte Frau vergeben worden war. Die Bremer Gerichte entschieden gegen ihn, das Bundesarbeitsgericht in Kassel legte den Fall dem Gericht in Luxemburg vor.

Falls Eckehard Kalanke seine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) verliert, wie Experten erwarten, kann der verhinderte Gärtner das deutsche Bundesverfassungsgericht (BVG) in Karlsruhe auf seine Europabegeisterung testen: Das BVG müßte am Fall des Bremer Gärtners einen juristischen Streit um die juristischen Kompetenzen in Europa austragen, der seit dem Urteil über die Maastrichter Verträge in der Luft liegt: Die Karlsruher Richter müßten darüber entscheiden, ob sie sich in dem Fall überhaupt zuständig fühlen - und damit deutsche oberste Richtersprüche über Entscheidungen des europäischen Gerichtshofes stellen.

Eine Bestätigung des Bremer Landesgleichstellungsgesetzes durch das höchste europäische Gericht wäre auch ein indirekter Rüffel für deutsche Verwaltungsgerichte. Diese haben — zuletzt das OVG Münster - die Meinung vertreten, daß Quotenregelungen für BeamtInnen unzulässig sind. Wenn Luxemburg Quoten für Angestellte für rechtens erklärt, müssen die Verwaltungsgerichte in ihrer Rechtsprechung klären, warum Quoten bei Beamten nicht zulässig sein sollen.

Im Urteil zu den Maastrichter Verträgen haben die Karlsruher RichterInnen festgestellt, daß in Deutschland auch künftig Grundrechtsverletzungen in Karlsruhe eingeklagt werden können. Sobald europäische Behörden den Rahmen der EWG-Verträge überschreiten, so hat das BVG geurteilt, müssen deutsche Behörden ihren Anordnungen nicht folgen. Dahinter sieht Manfred Zuleeg, Richter am EuGH, eine „Kampagne gegen den Europäischen Gerichtshof“. Besonders aus dem Bundessozialministerium kämen Vorwürfe an das Luxemburger Gericht, sich Kompetenzen anzumaßen, die Gewaltenteilung zu verletzen, unzulässige Rechtsschöpfung zu betreiben und Deutschland untragbare Kosten zu verursachen. Das BVG, erklärte Zuleeg vergangene Woche in Bremen, verweigere dem EuGH die Kompetenzen, die jedes andere deutsche Gericht besitzt: die der Rechtsfortbildung, wenn Sachverhalte im Gesetz nicht oder unzureichend geregelt sind. „Nur auf diese Weise läßt sich die Anforderung aus dem deutschen Verfassungsrecht erfüllen, rechtsstaatliche Grundsätze einzuhalten und die Grundrechte zu schützen.“

Konkrete Gründe für die „Kampagne gegen den EuGH“ kann Zuleeg nicht nennen. Auch Hagen Lichtenberg, Professor für Europarecht an der Uni Bremen, meint: „Es sind komische Signale, die da aus Karlsruhe kommen, das ist vielleicht der Zug der Zeit, der in Deutschland hin zu mehr Nation und Nationalstaat geht.“

Der EuGH, meint dagegen Mario Nitsche, Richter am Bremer Landesarbeitsgericht, sei in seiner Rechtsprechung zum Arbeits- und Sozialrecht „diskrimierungsfeindlich“. So habe der EuGH immer wieder Anstöße zur Beseitigung von Benachteiligungen gegenüber Frauen und EG-AusländerInnen gegeben. Die Maastricht-Entscheidung, die in der Öffentlichkeit als Deutschlands Ticket nach Europa verkauft wurde, sei in Wirklichkeit das genaue Gegenteil: „Es wird einen permanenten Kompetenzstreit zwischen deutschen Gerichten und dem EuGH geben und eine konservative Disziplinierung des EuGH von deutscher Seite. Die Akzeptanz für Entscheidungen des EuGH ist dann völlig weg — jeder Popel in Amt und Würden kann sich darüber hinwegsetzen.“ Bernhard Pötter