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Unter einem Dach mit Pagel

Ein Haus in Wedding, in dem der ehemalige Rep-Funktionär Pagel lebt, leidet unter den Besuchen von Unbekannten / Mehrere Brandanschläge  ■ Von Severin Weiland

Es war kurz nach Mitternacht, als Armin Gröpler von einem Nachbarn aus dem Bett geklingelt wurde. Er solle schnell in den Innenhof kommen, neben seinem Wagen brenne es. So sehr sich der Theaterregisseur und Gesangslehrer auch beeilte – es nützte nichts mehr. Sein Passat und auch der VW eines weiteren Nachbarn aus dem Ritterlandweg XY (Hausnummer der Redaktion bekannt) standen in Flammen. Und zwischen beiden Wagen brannte munter ein schwarzer BMW 518i.

Das schmucke Auto aus bayerischer Fabrikation, auf das Unbekannte am 30. Oktober einen Brandanschlag verübt hatten, gehörte einem stadtbekannten Mann: dem ehemaligen Rep- Funktionär Carsten Pagel. An die Reaktion des 31jährigen Rechtsanwalts, der seit 1987 in dem Haus im Bezirk Wedding wohnt, kann sich Gröpler noch gut erinnern. „Als der runterkam, hat er gelacht und gesagt: ,Das habe ich schon lange erwartet.‘“ Auf dem Hof entzündete sich sogleich eine Debatte, die auch Pagel im Gedächtnis haften geblieben ist: „Der Frust der Geschädigten richtete sich mehr gegen mich als gegen die Täter.“ Das sei zwar „menschlich verständlich, aber sachlich nicht gerechtfertigt“, meint der Jurist kühl. Während Pagel sich gleich am nächsten Tag einen Leihwagen besorgte („Ich möchte es ja nicht zur Gewohnheit werden lassen, daß mein eigener Wagen abgebrannt wird“), hatte der 50jährige Gröpel das Nachsehen. Er bekam keinen Pfennig ersetzt – sein Wagen war nur haftpflichtversichert.

Einige Mieter im Ritterlandweg XY sind wütend. Auf Pagel ebenso wie auf diejenigen, die ihn mit Brandsätzen bekämpfen. „Ich habe so 'ne Angst mit dem Mann im Haus“, sagt Michaela Maliske, Mutter von fünf Kindern. Viele Familien seien „blitzeblank mit den Nerven“, beteuert die 32jährige. Schon zweimal loderten Flammen im Keller des Hauses, zuletzt im Winter 1989. Sie vernichteten damals nicht nur Fahrräder und Mobiliar, sondern auch Telefon- und Elektroleitungen. Tagelang gab es keinen Strom, Michaela Maliske mußte zu einer Freundin ziehen.

Ob die damalige Tat einen politischen Hintergrund hatte – kurze Zeit später fanden die Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus statt – ist bis heute nicht geklärt. Entsprechende Hinweise liegen dem polizeilichen Staatsschutz bis heute nicht vor. Auch der jüngste Brandanschlag auf Pagels Wagen gibt Rätsel auf: Bislang gibt es kein Bekennerschreiben. Allerdings lasse die Herangehensweise auf eine politische Zielrichtung schließen – nur ob von links oder rechts sei „nicht klar“, so ein Polizeisprecher zur taz.

Für Gisela Mohr (41), die mit ihrer Familie im vierten Stock des Neubaus Tür an Tür mit Pagel wohnt und deren Golf ebenfalls bei dem Brandanschlag am 30. Oktober zerstört wurde, hat sich der Alltag mittlerweile geändert. Ihre beiden Kinder (sieben und neun Jahre alt) läßt sie abends nicht mehr alleine in der Wohnung zurück. Das sei zu gefährlich: „Was uns unten passiert ist, kann auch jederzeit hier oben geschehen.“ Und Michaela Maliske gibt zu bedenken: „Ich finde es ja okay, wenn man solche Leute wie Pagel bekämpft. Dann aber bitte politisch.“ Schließlich hätten die Mieter es sich nicht ausgesucht, daß man „mit Herrn Pagel unter einem Dach leben muß“.

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