Kamellen-Napoleon und Schoko-Konsul

Im Kölner Rheinau-Hafen eröffnete ein Schokoladenfabrikant das weltweit erste Schokoladenmuseum  ■ Von Bernd Imgrund

Ek Chuah hätte sich das vermutlich nicht träumen lassen. 500 Jahre nach dem Niedergang der Mayakultur erlebt er, der damalige Gott der Kakaopflanzer, am anderen Ende der Welt noch einmal eine spektakuläre Renaissance. Ausgerechnet im katholischen Köln errichtete man einen im wahrsten Sinne des Wortes einzigartigen Museumstempel zu Ehren der von Ek Chuah betreuten Frucht, der Kakaobohne, und ihrem Folgeprodukt Schokolade. Innerhalb von nur 13 Monaten entstand auf der Spitze der Rheinauhalbinsel die 53 Millionen Mark teure Glas-Aluminium-Konstruktion, deren äußere Form mit den beiden dem ausgedienten Zollhaus angeschmiegten Halbovalen, den Bullaugenfenstern und der rundlich- ausladenden Zwischendeck-Terrasse an einen zum Start bereiten Dampfer erinnert.

Schokoladenmogul Hans Imhoff, als Herrscher über das Stollwerck-Schokoladenimperium irdischer Stellvertreter des Kakaogottes, konnte sich seines Erfolges gewiß sein. Als er 1989 einen kleinen Teil seiner Reliquien im Kölner Alten Rathaus präsentierte, kamen innerhalb zweier Monate mehr als 300.000 Besucher. Heuer pilgerten bereits am Eröffnungstag Tausende über die Drehbrücke zum Imhoff-Stollwerck-Museum, um damals wie heute empfangen zu werden von der größten Attraktion des Komplexes, einem Schrein ganz besonderer Art: aus 80 vergoldeten Kakaofrüchten sprudelt lauwarme flüssige Schokolade in eine Brunnenschale von zwei Metern Durchmesser. Weiß gekleidete Schwestern des Stollwerck- Ordens tauchen Keksoblaten ins bräunlich wabernde Weihbecken, die sich die defilierenden Wallfahrer zum Beginn des Passionsweges auf der Zunge zergehen lassen. Schon die erste Station dokumentiert, was Konsul Imhoff von seinen klerikalen Brüdern gelernt hat: alle Schattenseiten der Missionierung geflissentlich zu vertuschen. Auf rückwärtig angestrahlten Fotos ernten und zerteilen strahlende Schwarze die länglichen, zumeist gelben Kakaofrüchte, um die darin enthaltenen Bohnen nach einem mehrtägigen Gärungsprozeß unter Palmwedeln auf einer Musterplantage unter der Sonne zu trocknen. Während der Beitext schwiemelig auf die geübten Hände der Dschungelbewohner verweist, findet sich kein Sterbenswörtchen etwa davon, daß die südamerikanischen und afrikanischen Kleinbauern lediglich mit einem Kilopreis von 80 US-Cents am Gesamtreibach beteiligt sind, dieweil die weitaus lukrativere Weiterverarbeitung in den Konsumentenländern vonstatten geht. Über die Kolonialgeschichte des Kakaohandels, dem „jährlich 20 Prozent der Arbeiter als Kulturdünger“ zum Opfer fielen, wie die Deutsche Reichs-Post im Jahre 1900 schrieb, deckt sich im Kölner Schokoladentempel ein kakaogeschwängerter Weihrauchmantel des Schweigens.

Statt dessen zieht die Kolonne weiter in den Nordflügel, vorbei an einer ultramodernen Produktionsstätte für süß-braune Devotionalien aller Art. Der wundersamen Wandlung aus den Zeiten der Hochzeit zu Kanaan wird heutzutage allerdings mit ausgefeilten technischen Metamorphosen nachgeholfen: Auf ihrem Weg vom Rösten und Mahlen übers Mischen (mit Zucker, Vanillin, Milchpulver u.ä.) und Conchieren (Kneten und Durchschlagen der Melange) entstehen hier aus schnöden Kakaobohnen zum Beispiel Schoko-Medaillons mit den Kölner Lokalheiligen „Tünnes und Schäl“ oder Votivtafeln mit dem Schriftzug des Meisters Stollwerck persönlich.

Kultische Verehrung genoß die Theobroma (= Götterspeise) schon bei ihren ersten Züchtern, den Maya. Kakaofrüchte unterstützten in den indianischen Hochkulturen Mittel- und Südamerikas nicht nur rituelle Handlungen, sondern entfalteten heilbringende Wirkung auch als Mittel gegen Fieber und Schlangenbisse oder zur Desinfektion von Schnittwunden. Darüber hinaus exportierten die Maya das „braune Gold“ ins Reich der Azteken, wo der empfindliche Kakaobaum aus klimatischen Gründen nicht angebaut werden konnte. Einen Bohnenvorrat von 25.000 Zentnern soll Herr Cortés auf seinem völkermordenden Feldzug zugunsten von Krone und Kirche am Hofe Moctezumas vorgefunden haben.

Der Spanier Cortés brachte den Luxusartikel Kakao erstmals nach Europa, und so folgt im Mittelgeschoß auf den Raum für Altamerikanische Kulturen eine reichhaltige Porzellan- und Silbersammlung aus den Gemächern der westeuropäischen upper class. Die Palette reicht vom kompletten Meißener Kakaoservice bis zum handlichen Reisesolitär samt Zuckerdöschen und Quirl, mit dem die heiße Schokolade stets aufs neue durchgerührt werden mußte, weil sich das im 18. Jahrhundert noch nicht entfettete Kakaopulver schnell von der beigegebenen Flüssigkeit trennte.

Mit der obersten Plattform des Kalvarienbergs betritt man schließlich die heiligen Hallen Franz Stollwercks und seiner Nachfahren. Der Firmengründer hatte sich in Köln bereits mit „Stollwerck'schen Brustbonbons“ seinen Namen als „Kamellen-Napoleon“ erworben, bevor er um 1860 verstärkt auf die Verarbeitung von Kakao umstieg. Seine Söhne trugen die frohe Schokoladenbotschaft in alle Welt hinaus. Als besonders ergiebiger Missionierungstrick erwies sich das Aufstellen von Motivautomaten, die gegen Ende des 19. Jahrhunderts die Großstädte eroberten. Diese modernen Tabernakel der Warenwelt in Form von Guckkästen, Windmühlen oder Legehennen unterliefen die Kirchen- und Ladenschlußzeiten, spuckten sie doch sonntags wie des Nachts gegen geringes Entgelt Oblaten der leckeren Art aus, denen zudem häufig aufwendige Sammelbildchen beilagen.

Bei ihrem kreuzritterlichen Eifer verstanden es die Stollwerck- Jünger stets, sich mit den weltlichen Herrschern zu arrangieren. Eine Schautafel mit der Inscriptio „Schwierige Jahre“ kommt nicht umhin, auch die Flecken auf dem Ornat zu dokumentieren, etwa die Spende von 100.000 Tafeln Schokolade an Hindenburgs Ostheer im Herbst 1915 oder die Auszeichnung als „Nationalsozialistischer Musterbetrieb“ vom Mai 1937. Zwar nicht braun, aber ebenso unübersehbar prangen die Kleckse auf der Weste des heutigen Stollwerck-Papstes Imhoff. Der Museumsstifter, der an seinem Heiligenschein bereits Ende der achtziger Jahre mit einer von ihm selbst in Auftrag gegebenen und finanzierten Preiset-den-Herrn-Biographie strickte, hat in der Domstadt nicht nur gläubige Anhänger. Wenn er von sich behauptet, daß „der Vorwurf des Kölner Klüngels (...) auf mich in klassischer Weise“ zutrifft, ist das eine recht harmlose Exegese jener Geschäfte, die Imhoff unter der Mitra der Domstadt abgewickelt hat. Mit Hilfe dubioser Transaktionen wanderten beim Verkauf des alten Stollwerck-Geländes in der Kölner Südstadt sagenhafte 48,3 Millionen Mark in seinen Klingelbeutel, der sich in Form von zinslosen Krediten und Investitionszuschüssen für den Neubau auf der rechten Rheinseite um weitere 27 Millionen füllte. Der Top- Sanierer fegte seinen Stall aus, indem er zunächst gut zwei Drittel der Mitarbeiter entließ – ein Konsolidierungsverfahren, das sich auch später beim Ankauf von Firmen wie Eszet, Sprengel oder des VEB Rotstern im thüringischen Saalfeld bewährte.

Dennoch empfängt die Stadt Köln das Hänschen von der „Schäl Sick“ (der falschen, rechten Rheinseite) mit offenen Armen. Zum einen ist Imhoff, anders als der Domkämmerer, ein veritabler Steuerzahler, zum anderen war sein Angebot angesichts leerer Stadtsäckel und mangels überzeugender Gesamtkonzepte für die Umgestaltung des abgetakelten Rheinauhafens nicht auszuschlagen. Daß von einem Kaufvertrag für das Grundstück bislang ebenso jede Spur fehlt wie von den angekündigten 5,3 Millionen Mark Spendengeldern, die Imhoff anläßlich der Grundsteinlegung der Museums- und Freien-Theater-Szene versprach, fällt bei der Kölner Obrigkeit unter die amtliche Schweigepflicht. Und so pilgerten denn auch OB Burger und die kölschen Honoratioren gleich am ersten Tag durch die heiligen Hallen, um wie alle anderen Wallfahrer kurz vor dem Ausgang ein letztes Mal zu Kreuze zu kriechen. Aphrodisiert vom bittersüßen Zauberduft erschließt sich im schlußendlichen Devotionalienshop das Credo des Imhoffschen Katechismus: Du sollst Schokolade kaufen!