■ Zur Debatte um Arbeitszeitverkürzung mit Lohnausgleich: Zeit für Kompromisse
Das Modell der achtziger Jahre, die Arbeitslosigkeit durch Umverteilung der Arbeit zu schaffen, hat nicht ausgedient. Arbeitszeitverkürzung mit oder ohne Lohnausgleich: darauf spitzt sich jetzt die Auseinandersetzung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern – wieder einmal – zu. Fast dreieinhalb Millionen Menschen sind arbeitslos gemeldet; rechnet man Kurzarbeit, Vorruhestandsregelungen und ABM mit, sind sechs Millionen ohne Arbeit. Auf den Aufschwung brauchen diejenigen, die ihre Jobs verloren haben, gar nicht zu warten. Denn dank heftiger Rationalisierungsanstrengungen können die Unternehmen auf die jetzt entlassenen ArbeiterInnen gut verzichten, selbst wenn wieder mehr produziert wird. Die Hoffnung, durch ordentliches Wirtschaftswachstum würde sich schon irgendwie wieder Vollbeschäftigung herstellen lassen, kann begraben werden.
In letzter Zeit plädieren die Bonner Koalitionäre unisono mit den Arbeitgeberverbandsfürsten für eine neue Strategie: Es müsse mehr statt weniger gearbeitet werden. Die einen dürfen sich dann halb totarbeiten, während die anderen im „kollektiven Freizeitpark“ rumlungern. Natürlich mit immer knapper bemessener Stütze, denn für die vielen Sozialleistungen ist bekanntlich kein Geld mehr da, und die Arbeitslosen müssen ja einen Anreiz haben, sich einen Job zu beschaffen – fragt sich nur, woher. Aber eigentlich meinen die Arbeitgeberfunktionäre etwas anderes: länger arbeiten für gleichen Lohn nämlich, also de facto Lohnsenkung. So ließe sich das selbstverständlich niemals durchsetzen, und „mehr Arbeit“ klingt schließlich besser als „weniger Lohn“. Was die Unternehmer uns damit sagen wollen: Löhne runter heißt geringere Kosten heißt höhere Gewinne, und schon ist die Krise zu Ende.
Wirklich? In den letzten zehn Jahren stiegen die Unternehmergewinne dreimal so stark wie die Arbeitnehmereinkommen. 1991 schnellten die Gewinne gar um 5,6 Prozent in die Höhe, während die Löhne real, unter Abzug der Preissteigerung, um ein Prozent sanken. Die Krise aber fing zu diesem Zeitpunkt erst richtig an. Investitionen und Innovationen fanden kaum statt, aber nichtsdestotrotz wollen einen die verschnarchten Manager nun glauben machen, schuld an der Misere seien allein die ArbeitnehmerInnen mit ihren unverschämten Lohnforderungen.
Was sie dabei vergessen: Die Unternehmen wollen doch mehr und nicht weniger verkaufen, und dazu muß jemand die Produkte oder Dienstleistungen kaufen. Wer plötzlich 20 Prozent weniger verdient – worauf der Volkswagen-Plan einer Viertagewoche ohne Lohnausgleich hinauslaufen würde –, leistet sich aber keinen neuen Golf, wenn es der alte noch tut. Verstärkter Verkauf im Ausland ist auch kein Ausweg, wenn die Krise eine mehr oder weniger weltweite ist und wenn der hohe D-Mark-Wechselkurs die deutschen Exporte stärker verteuert, als es die hiesigen Löhne tun.
Wenn die Arbeit knapp wird, ist es volkswirtschaftlich gesehen also immer noch das vernünftigste, die Arbeitszeit des einzelnen zu kürzen und dabei den entstehenden Lohnausfall auszugleichen. Alles andere würde dazu führen, daß die Unternehmen Absatzschwierigkeiten bekommen. Als noch um die 35-Stunden-Woche mit vollem Lohnausgleich gestritten wurde, haben Wissenschaftler im Memorandum, einem alternativen Gutachten zur Wirtschaftsentwicklung, vorgerechnet, daß ohne Lohnausgleich die Nachfrage um über sechs Prozent schrumpfen würde. Dadurch wiederum würden mehrere hunderttausend Arbeitsplätze verlorengehen. Was das einzelne Unternehmen also einspart, wenn es keinen Lohnausgleich zahlt, führt gesamtwirtschaftlich nicht zu Einsparungen, sondern zu Verlusten.
Theoretisch müßte das zwar nicht so sein. Werden in dem Maß neue Arbeitskräfte beschäftigt, in dem die Arbeitszeit reduziert wird, dann würden die zusätzlichen ArbeitnehmerInnen genau das verdienen, was ihre KollegInnen weniger bekommen. Die Lohnsumme und damit die Nachfrage bliebe also die gleiche. In Wirklichkeit jedoch wird es mitten in der Krise kaum Neueinstellungen geben; da dient die Arbeitszeitverkürzung nur dazu, weitere Entlassungen zu verhindern. Und auch längerfristig werden die Arbeitgeber durch Rationalisierung und Verdichtung der Arbeit dafür sorgen, daß höchstens die Hälfte des rein rechnerisch möglichen Beschäftigungseffektes realisiert wird. Ohne Lohnausgleich wird die Nachfrage also tatsächlich schrumpfen.
Nun ist das, was auf der makroökonomischen Ebene korrekt ist, noch lange nicht das Richtige für ein einzelnes Unternehmen. Würde die taz beispielsweise Gehälter nach Tarif zahlen, gäbe es sie längst nicht mehr. Die VW-ArbeiterInnen sind jetzt gewissermaßen in der gleichen Situation. Sie können auf dem Prinzip des Lohnausgleichs bestehen, nur stehen sie dann morgen vielleicht ganz ohne Job da.
Was für Volkswagen zählt, ist nicht die gesamtwirtschaftliche Ratio, sondern nur, daß der Konzern riesige Verluste macht und 30.000 Arbeitskräfte loswerden will, gut ein Viertel der Belegschaft. Volkswagen-Manager sind keine Philantropen schlechthin. Ihr Vorschlag, Entlassungen zu vermeiden und die weniger gewordene Arbeit gleichmäßig zu verteilen, würde betriebswirtschaftlich keinen Sinn machen, wenn die Löhne gleich bleiben. Denn dann ergäbe sich für das Unternehmen überhaupt keine Einsparung.
Das weiß natürlich auch IG-Metall-Chef Klaus Zwickel. Vollen Lohnausgleich fordert die Gewerkschaft also nicht ernsthaft von VW; der Streit geht ausschließlich darum, einen Kompromiß darüber zu finden, in welchem Umfang die Löhne bei kürzerer Arbeitszeit gesenkt werden. Bei den unteren Einkommensgruppen könnte der Verlust durch die kürzeren Arbeitszeiten zum Beispiel geringer ausfallen als bei Besserverdienenden – eine Chance zur gerechteren Einkommensverteilung, die die Gewerkschaft nutzen sollte.
Die 35-Stunden-Woche ist in vielen Branchen schon fast erreicht, und trotzdem sind mehr Menschen denn je ohne Arbeit. In der Tat wird sich auch der unnachgiebigste Arbeitnehmervertreter daran gewöhnen müssen, daß der Verteilungsspielraum heute nicht mehr derselbe ist wie in den Achtzigern. Heerscharen von qualifizierten ArbeiterInnen, die für Niedrigstlöhne anzuheuern sind, stehen bereit. Solche Billiglohnländer waren früher einen halben Erdball weit entfernt, was die meisten Arbeitgeber daran hinderte, ihre Produktion dorthin zu verlegen. Jetzt hingegen braucht ein Unternehmer nur noch die Grenze östlicherseits zu überschreiten. Deutsche Firmen haben sich bereits an 10.000 Gemeinschaftsunternehmen in Osteuropa beteiligt.
Das Modell der Arbeitgeber, die Kosten auf dem Rücken der Arbeitnehmer zu senken, ist kein Ausweg aus der Beschäftigungskrise. Aber umgekehrt werden die Unternehmer bei einer Arbeitszeitverkürzung nicht bereit sein, einen Lohnausgleich zu zahlen. Geschehen muß jedoch etwas: „Entweder wird das Ding gedreht bis nächstes Jahr, oder es knackt in dieser Republik“, sagte ein Gewerkschafter in Wolfsburg zu den Verhandlungen über die Viertagewoche. In dieser Situation sind alle zu Kompromissen aufgerufen: die Arbeitgeber, die Arbeitnehmer, und nicht zuletzt der Staat, der zu finanziellen Hilfen bei einer Verkürzung der Arbeitszeit bereit sein muß. Nicola Liebert
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen