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Schlappe für Jordaniens Islamisten

■ Deutlicher Sieg der gemäßigten Kräfte bei Parlamentswahlen / Erstmals auch eine Frau im Parlament / Israelisch-palästinensisches Abkommen war kein Wahlkampfthema / Lokale Probleme überwogen

Berlin/Amman (AFP/wps/taz) – Bei den ersten Mehrparteienwahlen in Jordanien seit 37 Jahren am Montag haben die gemäßigten Kräfte einen deutlichen Sieg errungen. Die regierungsnahen Unabhängigen erhielten nach dem gestern veröffentlichten offiziellen Ergebnis 59 der 80 Parlamentssitze und verfügen fast über eine Dreiviertelmehrheit. Damit stellen die Befürworter des Friedensprozesses im Nahen Osten im neuen Parlament eine satte Mehrheit.

Die Fundamentalisten erlitten dagegen Verluste. Während sie im scheidenden Parlament über 22 Sitze verfügten, werden sie künftig nur noch mit 18 Abgeordneten vertreten sein. Wie der jordanische Innenminister Salameh Hammade vor Journalisten mitteilte, gehören von den 18 gewählten Fundamentalisten 16 der Islamischen Aktionsfront an, der politischen Organisation der Moslembruderschaft. Sie stellt im neuen Parlament wieder die stärkste Fraktion. Auch die Linken mußten nach Angaben Hammades Stimmeinbußen hinnehmen. Sie können gegenüber ihren vorherigen acht Sitzen lediglich mit drei Sitzen ins Parlament einziehen. Die Wahlbeteiligung habe 68 Prozent betragen.

Eine regierungsfähige Mehrheit konnte keine der Parteien erzielen. Nun muß König Hussein entscheiden, wen er als Ministerpräsidenten beruft.

Zum ersten Mal in der jordanischen Parlamentsgeschichte ist diesmal auch eine Frau gewählt worden. Die 45jährige Toujan Faisal ging im dritten Wahlbezirk der Hauptstadt Amman als Siegerin hervor. Faisal, Journalistin, Feministin und Mutter von drei Kindern, erhält den Sitz, der für die tscherkessische Minderheit reserviert ist.

Insgesamt waren unter den 534 Kandidaten für die 80 Parlamentssitze nur drei Frauen. Darin sah einer der männlichen Bewerber in Amman offenbar seine Chance: Er appellierte an die Frauen, ihm seine Stimme zu geben, damit er dann im Parlament für ihre Rechte eintreten könne ...

Für die Jordanierinnen, die seit 1974 über das passive Wahlrecht verfügen, waren gesonderte Kabinen eingerichtet worden. Bei den letzten Parlamentswahlen im Jahre 1989 hatten sich zwölf Frauen aufstellen lassen, die jedoch alle gescheitert waren. Im Unterschied zu damals konnten die Kandidaten diesmal für eine Partei antreten; die inzwischen eingeführte Direktwahl begünstigte allerdings Einzelpersönlichkeiten wie Stammesführer gegenüber politischen Formationen mit einem entsprechenden Programm. So waren linke Parteien und auch Frauen die Leidtragenden der neuen Regelung, letztere, da sie nicht mehr über Listenverbindungen ins Parlament gelangen konnten. Radikale palästinensische Organisationen hatten zum Boykott der Wahlen aufgerufen, um gegen das Gaza-Jericho-Abkommen zwischen der israelischen Regierung und der PLO zu protestieren.

Der Friedensprozeß im Nahen Osten war allerdings kein Wahlkampfthema. Die Kandidaten griffen vor allem wirtschaftliche und lokale Probleme auf. Schlechte Versorgung in entlegenen Gebieten, Arbeitslosigkeit und die Hoffnung auf Gelder für die Region im Gegenzug zur „richtigen“ Stimme bestimmten die Programme der Kandidaten.

„Wir haben uns wieder lokalen Dingen zugewandt. Die Welt um uns herum ist zusammengebrochen“, meint Mustafa Hamarneh, der Leiter des Zentrums für Strategische Studien an der Jordan University, unter Anspielung auf den Krieg gegen den Irak, das Ende der Sowjetunion und das israelisch-palästinensische Abkommen. „Der arabische Nationalismus war ein schöner Traum, aber er hat nichts mehr mit dem Leben der leute zu tun“, sagte auch Radwan Abdullah, Leiter der politischen Fakultät der Universität. „Die Menschen sind desillusioniert, aber auch pragmatischer.“

Das schlechte Abschneiden der Islamischen Aktionsfront im Vergleich zu 1989 wird von Beobachtern, abgesehen vom Wahlrecht, auch mit der schlichten Tatsache begründet, daß die WählerInnen vier Jahre Zeit hatten, die Tätigkeit der Fundamentalisten im Parlament zu beobachten. Vor den Wahlurnen in den eher traditionellen Wüstenstädten äußerten sich am Montag viele ähnlich wie Meisoun Talhouny, ein Lehrer aus Maan: „Nachdem die Fundamentalisten einmal ihre Sitze gewonnen haben, sind sie zu Politikern geworden, die den Kontakt zu ihrer Umgebung und deren Bedürftnissen verloren haben.“ b.s.

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