: An jedem Tag 10.000 neue Flüchtlinge
■ UNHCR warnt: Nach dem Kalten Krieg droht jetzt das „Zeitalter ethnischer Gewalt“
Genf (epd) – Die Zahl der Flüchtlinge ist nach Angaben der Vereinten Nationen in den vergangenen zwei Jahrzehnten weltweit von 2,5 Millionen auf heute mehr als 18,2 Millionen Menschen gestiegen. Damit ist ungefähr jeder 130. Weltbürger auf der Flucht. Im vergangenen Jahr seien durchschnittlich jeden Tag 10.000 Männer, Frauen und Kinder in die Flucht getrieben worden, betont das UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) in seinem am Dienstag in Genf veröffentlichten Jahresbericht. Weitere 24 Millionen Menschen seien vor Bürgerkriegen geflohen und lebten als Vertriebene in ihren Ländern. Asylsuchende stoßen dabei weltweit immer häufiger auf Ablehnung, berichtete Flüchtlingshochkommissarin Sadako Ogata in ihrem Bericht. Das traditionelle System zum Schutz von Verfolgten drohe zusammenzubrechen. Die zunehmende Zahl der Flüchtlinge habe die Solidarität mit den Schutzsuchenden geschwächt.
Wie aus dem 191 Seiten starken Bericht „Zur Lage der Flüchtlinge in der Welt“ hervorgeht, lebten Ende Dezember 1992 die meisten Flüchtlinge im Iran (4,15 Millionen Afghanen und Iraker), in Pakistan (1,63 Millionen Afghanen) und Malawi (1,06 Millionen Mosambikaner).
Die meisten Asylsuchenden in Industrieländern gab es in Deutschland (438.000), den USA (104.000) und Schweden (83.000). Im vergangenen Jahr in ihre Heimat zurückkehren konnten dem Bericht zufolge 2,4 Millionen Flüchtlinge, davon 1,5 Millionen Menschen nach Afghanistan. Seit dem Ende des Kalten Krieges haben sich laut UNHCR die Fluchtursachen verändert. „Die große Mehrheit flüchtet heute weniger wegen individueller Verfolgung, sondern vor den Folgen gewaltsamer Konflikte und vor dem chaotischen Zusammenbruch der bürgerlichen Ordnung im eigenen Land“, heißt es in dem Bericht weiter.
Zur Bekämpfung wirtschaftlicher Fluchtgründe forderte das Hochkommissariat gezielte Maßnahmen für arme Länder. Zwischen Entwicklungs- und Flüchtlingshilfeorganisationen sei eine konzentrierte Zusammenarbeit notwendig. Zugleich müßten aber die reichen Staaten weiter diejenigen Menschen aufnehmen, die wirklich keine andere Wahl hätten, als vor Verfolgung und Gewalt ins Ausland zu fliehen. Das UNHCR warnt in seinem Bericht vor einem „neuen Zeitalter ethnischer Gewalt“. In vielen Ländern flammten Spannungen zwischen Bevölkerungsgruppen auf und würden häufig bewußt geschürt. Gerade in Armutsregionen würden Angehörige von Minderheiten oft als „Sündenböcke“ verfolgt. Als erschreckende Beispiele ethnischer Gewalt nennt der UNHCR-Bericht unter anderem Äthiopien, Armenien, Aserbaidschan, Bhutan, Georgien, Irak, das frühere Jugoslawien, Birma, Sri Lanka und den Sudan. Weitere blutige Konflikte seien zu erwarten, da in den weltweit 190 Staaten mehr als 5.000 ethnische Gruppen lebten.
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