Nichts ist unmöglich

Sonnensturm: Die NHL kämpft ums Überleben und verschiebt die Eiszeit Richtung Äquator  ■ Von Matthias Kittmann

Berlin (taz) – „Was hat Schnee schon mit Eishockey zu tun?“ Phil Esposito, Generalmanager der Tampa Bay-„Lightings“ und Kufenstar der siebziger und frühen achtziger Jahre, wartet erst gar keine Antwort ab, denn die ist für ihn sowieso klar: „Nichts!“ Und dann hebt er zu einem längeren Vortrag darüber an, warum Geisteskrankheit keineswegs eine notwendige Bedingung ist, eine Bootsstunde von der Karibik entfernt, ein Eishockeyteam in der National Hockey League (NHL) spielen zu lassen.

Tatsächlich dürfte vielen Bewohnern Floridas, wo seit dieser Saison auch die „Panthers“ antreten, Schnee nur als jene Substanz bekannt sein, die man sich als „Line“ per Röhrchen durch die Nase zieht.

Doch das hält Ruheständler, Exil-Kubaner und Drogendealer nicht davon ab, sich zuhauf das rutschige Treiben am südlichsten Punkt der USA anzugucken. Das Lokalderby zwischen den „Lightings“ und den „Panthers“ im „Florida Suncoast Dome“ sahen 27.227 Zuschauer – Rekord in der 77jährigen NHL-Geschichte. „99,5 Prozent aller Erstbesucher sagen ,Wow!‘ und bleiben dabei“, schwört Phil Esposito, „der Rest lügt und kommt heimlich wieder.“

Das Geschnatter um das neue Team der St. Anaheim „Mighty Ducks“ hat überdeckt, daß sich in der NHL in den letzten zwei Jahren mehr getan hat als die Ankunft einiger neuer Enten im „Teich“ (wie die Walt Disney Company in einem Anflug von Infantilität die Arena der „Ducks“ getauft hat). Viel entscheidender ist, daß die nordamerikanische Eishockeyliga die wohl größte Veränderung erlebt seit der Expansion von 1977 und der Übernahme des Konkurrenzunternehmens WHA (World Hockey Association) 1979.

Hockey an den Sun Belt, den Sonnengürtel, zu verlegen, ist mehr als nur ein Experiment wie in der Saison 1972/73. Damals brannten die jetzigen Calgary „Flames“ in Atlanta, Georgia, bevor sie von einer Investorengruppe aus Calgary gekauft wurden. Diesmal geht es für einen Sport ums Überleben, der immer mehr in den Windschatten der großen TV- und anderer Vermarktungsstrategien geraten ist.

Zwar ist in Europa gern von den „big four“ (Basketball, Football, Baseball, Hockey) des US-Sports die Rede, tatsächlich aber rangiert in den Vereinigten Staaten Eishockey landesweit unter ferner liefen – noch hinter College-Football. Nur in Kanada ist Eishockey unumstritten die Nummer eins. Doch das reichte nicht aus, um an einen Vertrag mit den großen TV-Networks zu kommen.

„Regionalsport“ heißt der böse Zauber, und, ob richtig oder falsch, dieser Begriff hat der NHL viel Geld und Marktanteile gekostet. „Wenn wir überleben wollen, müssen wir als erstes mit diesem Mythos aufräumen“, benennt dann auch Garry Bettman, der neue NHL-Präsident, sein Hauptziel.

Bettman hat in den zwölf Jahren zuvor zusammen mit David Stern die National Basketball Association (NBA) zu ihrem phänomenalen Erfolg geführt. „Das kämpferische Element des Spiels haben manche Kritiker dazu genutzt, Eishockeyteams als Truppe von Wirtshausschlägern zu verunglimpfen“, sagt Bettman. „Doch das ist genauso falsch wie die These vom ,Regionalsport‘. Wir decken mittlerweile ganz Nordamerika ab: von Ost nach West, von Nord nach Süd.“

In der Tat hat die jüngste Expansion die Gewichte gehörig verschoben. Seit diesem Jahr sind südlich des 39. Breitengrades (St. Louis) sieben Profimannschaften angesiedelt – nur eine weniger als in Kanada. Grund genug, den Charme der Unbeholfenheit abzulegen und sich an den Marktgesetzen zu orientieren. Und eines davon, so glaubt Norman Green, lautet: „Wir müssen dahin gehen, wo die Leute sind.“

Green selbst hat dies gerade vorexerziert, als er kurzerhand den Stanleycup-Finalisten der Saison 1991/92, die Minnesota „Northstars“, nach Dallas transferierte. „Die demographischen Daten hier in Texas sind grandios“, begründet er seine Entscheidung. „Die Leute wollen ihr Geld ausgeben, und wir geben ihnen die Möglichkeit dazu“, gibt er sich als Bilderbuch- Amerikaner. „Seit Wayne Gretzky und den Los Angeles ,Kings‘ wissen wir, daß der Erfolg von Hockey nichts mit dem Wetter oder der Tradition zu tun hat.“

Immerhin kann der Lone-Star- State Texas einen Spieler in der NHL vorweisen: Brian Leetch. Der spielt allerdings nicht bei den Dallas „Stars“, sondern bei den New York „Rangers“. Die anderen Team-Manager sind nicht weniger von ihrer „Operation: Sonnensturm“ überzeugt.

Besonders Phil Esposito, der sich letztes Jahr als erster an die Eroberung Floridas machte, kann bei auch nur dezent angedeuteten Zweifeln ziemlich unwirsch werden: „Wer sagt, daß dies eine schlechte Idee ist?“, durchbohrt er seinen Gesprächspartner mit seinem weiland schon von gegnerischen Spielern gefürchteten Blick. „Sag's mir! Wie ist sein Name?“

Das Wort Risiko kann er schon nicht mehr hören. „Ich kann ein Restaurant mitten in New York City eröffnen, und es ist auch ein Risiko“, sagt er. „Ich hab's gemacht und dabei mein letztes Hemd verloren. Egal, ob in Kanada oder in Florida – für den Erfolg arbeiten mußt du überall.“

Erfolg, das heißt auch, vom Rivalen NBA lernen. „Wir müssen das Ereignis ,Eishockey‘ und die Stars besser promoten“, erläutert Gary Bettman sein Programm, „Topspieler wie Brett Hull, Alexander Mogilny oder Patrick Roy sind bisher für die meisten anonym.“ Unter seiner Führung kann die NHL schon erste Erfolge vorweisen: Die Tickets für die Heimspiele der Expansionsteams sind nahezu ausverkauft, und rechtzeitig vor Beginn der Saison hat Bettman Verträge mit dem landesweiten TV-Kanal ABC und dem Sportsender ESPN abgeschlossen.

Schon ist von der nächsten Expansionsrunde die Rede. Phoenix und Houston sind im Gespräch, und vielleicht gibt es demnächst sogar die Nassau „Sun Warriors“ auf den Bahamas. Nichts scheint in der NHL mehr unmöglich. Daß es zwischen Eishockey in Kanada und in Florida doch noch kleine Unterschiede gibt, zeigt der bemerkenswerte PR-Spruch der Florida „Panthers“: „Good hockey. Great air condition.“